Alle Beiträge von EREPRO news

Frage nach versteckter Schuld der Diakonie.

Was für ein reißerischer Titel – Schuld der Diakonie? Abwegig – im Gegenteil, dort sind bekanntlich Menschen mit Hilfebedarf besonders gut aufgehoben.
Ganz so abwegig ist die Frage aber vielleicht doch nicht. Vor weniger als 80 Jahren widersetzten sich kirchliche Behinderteneinrichtungen der staatlich verordneten Sterilisierung und Ermordung ihrer Schutzbefohlenen nicht entschieden genug. Daraufhin wurden sehr viele hilfsbedürftige Menschen dort sterilisiert oder sogar dem sicheren Tod ausgeliefert.

Damals wie heute genossen kirchliche diakonische Einrichtungen besonderes Vertrauen bei der Bevölkerung. Zur Zeit des Nationalsozialismus erwies sich  das aber als ein gefährlicher Irrtum.
Schuld war nicht in erster Linie das persönliche Versagen einzelner Mitarbeiter der kirchlichen Dienste. Denn man stützte sich auf eine Weisung, eine Grundsatz-Orientierung der Evangelisch-lutherischen Kirche in Deutschland, deren Gültigkeit bzw. Ungültigkeit bis heute nicht abschließend geklärt ist.

In einem EREPRO-Artikel zur Ausstellung über NS-Euthanasie 2014 (1) wurde diese “Richtlinie” kurz erwähnt. Einige Leser sind darüber gestolpert und haben Klärungsbedarf. Den können wir hier leider auch nicht befriedigen, wir können hier nur die Forderung nach Klärung verstärken.

Es geht um die sogenannte “Zwei Reiche Lehre”.
Zitat aus unserem Artikel:

„Er (Rektor LAUERER von Neuendettelsau, die Red.) weiß, dass es vor Gott kein ‚lebensunwertes Leben’ gibt, schreibt aber 1939: ‚Wir Lutheraner können nicht anders, als grundsätzlich bejahend zum Staat, zu unserem Staat stehen (hervorgehoben von EREPRO). Von diesem Standpunkt aus haben wir kein Recht es zu beanstanden, wenn der Staat die Tatsache minderwertigen Lebens konstatiert und dann auch handelt.’ Diese Haltung erlaubt es, dass 1941 aus den Neuendettelsauer Anstalten von 2‘137 Bewohnern 1‘911 abtransportiert werden.” (2)

Es ist nicht zu fassen:
Sind/waren die Forderungen von nationalsozialistischen, unmenschlichen Politikern und Ärzten nach Tötung “unwerten Lebens” für Lutheraner gültiger als die Aussage des Christentums, dass es kein lebensunwertes Leben geben kann? Welche Geltung kommt dann dem 5ten Gebot “Du sollst nicht töten” noch zu? 

Wir haben in den 1990er Jahren mit dem Sohn des in der NS-Zeit verantwortlichen Leiters der Pflegeabteilung Neuendettelsau Pfarrer Ratz, damals ebenfalls dortiger Pfarrer, über die Verantwortung seines Vaters für die Auslieferung zur Tötung von mehr als tausend BewohnerInnen der Neuendettelsauer Anstalt gesprochen. Pfarrer Ratz jun. hat sich – genau wie sein Vater auf diesen Grundsatz berufen:
Man könne als Christ nicht anders als die Befehle (auch) des (nationalsozialistischen) Staates auszuführen.
Die Thematik dieser sog. Zwei-Reiche(/Regimenter)-Lehre geht zurück auf eine Diskussion, die seit der Reformation, der Zeit Martin Luthers, über die Beziehung zwischen Kirche und Staat geführt wird. Inhaltlich (für Nicht-Theologen) ein verwirrendes, historisches Puzzle. Wer sich etwas genauer darüber  informieren möchte, kann einiges nachlesen. (3)

Haben sich die lutherische Kirche und ihre Diakonie nach ihrem dadurch bedingten Tod bringenden Fehlverhalten deutlich von dieser “Lehre” distanziert und eine unmissverständliche Klarstellung für zukünftige Konflikte mit staatlichen Vorgaben erarbeitet – zur Orientierung für “richtiges” Verhalten kirchlicher Mitarbeiter in diesem Tendenzbetrieb?
Nach einer Recherche im Internet haben wir zunächst gelernt, dass diese Unterordnung unter den Staat nicht für alle Christen galt/gilt. Karl Barth, der reformierte Schweizer Theologe hatte sich anders geäußert, er fordert, “den Staat daran zu messen, inwieweit er seiner Aufgabe, durch Frieden und Recht in der menschlichen Gemeinschaft auf Christus hinzuführen, gerecht wird.”(4)

In nationalsozialistischen Publikationen wurde seinerzeit dieser Standpunkt der lutherischen Kirche gerne aufgegriffen. Wir zitieren hier ausführlich aus der Publikation “Schulungsbrief, Staat und Kirchen im 19. Jahrhundert” von Gauleiter Schmidt, Leiter des Hauptschulamtes der NSDAP (5):

“Die protestantische Staatsauffassung ist nicht einheitlich. Nach L u t h e r hat die weltliche Obrigkeit göttliche Autorität, da in der Obrigkeit Gott gebietend und richtend dem Menschen gegenüber wirkt. Dabei ist es nicht nötig, dass diese Obrigkeit ihre Legitimität nachweist, um Obrigkeit sein zu können. ‘Es liegt Gott nichts daran, wo ein Reich herkommt, er will’s dennoch regiert haben!’ Das ist Luthers patriarchalische Auffassung von der Obrigkeit. Sie gehört in den ‘Vatersstand’ und soll daher ein ‘väterlich Herz gegen die Ihren tragen’. Da die Obrigkeit unmittelbar von Gott um der Sünde willen gesetzt ist und ihm unmittelbar untersteht, darf sich ihr gegenüber niemand außer Gott allein als Richter aufschwingen. Empörung gegen die Obrigkeit, Revolution würde ein Eingriff in die Richtergewalt Gottes sein. Diese Gehorsamspflicht gilt daher auch dann, wenn die Obrigkeit Unrecht tut. Die Obrigkeit bleibt dessen ungeachtet für Luther dennoch anzuerkennen, auch dann, wenn sie etwas zu tun befiehlt, was Sünde wider Gott ist. In diesem Falle darf ihr der Gehorsam v e r w e i g e r t werden, ohne jedoch a k t i v e n Widerstand zu leisten. Man muss dann aber auch bereit sein, die Folgen des Ungehorsams zu tragen, d. h. die Strafe der Obrigkeit zu erdulden, falls man es nicht vorzieht, auszuwandern. Selbst einer Obrigkeit, die Land und Volk zugrundegerichtet, muss gehorcht werden; sie muss erlitten werden als eine Strafe Gottes, die wir dann eben angesichts unserer vielen Sünden längst und immer verdient hätten.

Die Kirche hat nach Luther k e i n e r l e i  i r d i s c h e  M a c h t a n s p r ü c h e  zu stellen. Ihre Aufgabe ist allein die Verkündigung des Wortes Gottes. Der Staat soll hierbei für eine ungehinderte Wortverkündigung die staatsrechtlichen Voraussetzungen schaffen. Mehr zu tun und mehr zu sein, steht nach Luther dem Staat nicht zu.

Wenn C a l v i n mit Luthers Staatsauffassung auch in vielem übereinstimmt, so begegnen uns bei ihm, also dem r e f o r m i e r t e n  P r o t e s t a n t i s m u s doch z w e i  b e d e u t s a m e Unterschiede:
Der eine Unterschied von Luther ist der, dass nach Calvin der Staat gegenüber der Kirche nicht selbständig ist. Weiterhin fordert Calvin Gehorsamsverweigerung gegenüber dem ‘tyrannischen’ Staat. Auf Grund dieser Anschauungen bedeutet der reformierte Protestantismus leicht eine Quelle des Konflikts mit der Staatsgewalt.”

Soweit der Gauleiter Schmidt in einer nationalsozialistischen Publikation.

Wie also steht die evangelisch-lutherische Kirche heute dazu?
Man liest von “Schulderklärungen” der evangelischen Kirche: die Stuttgarter von 1948, dazu gerechnet wird die Barmer Erklärung von 1934 (vor der NS-Euthanasie!), und das “Darmstädter Wort zum politischen Weg unseres Volkes” von 1947 (mit einem Kommentar), das der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) jedoch nicht als seine Position übernahm. (6)
Die Stuttgarter Schulderklärung wurde 1948 abgegeben – auf massiven Druck aus dem Ausland, durch den Weltkirchenrat. Sie schafft u.E. wenig Klarheit und beschäftigt sich primär mit der Schuld an dem Krieg, der von Deutschland ausging.(7)
“Gravierendste Schwäche des Darmstädter Wortes ist die vollständige Ausblendung des Judenmordes, eine Leerstelle, die die Grenzen kirchlicher Schuldeingeständnisse im historischen Kontext der unmittelbaren Nachkriegszeit markiert.”(8) Auch die Mitwirkung kirchlicher Einrichtungen bei der Zwangssterilisation und Tötung behinderter Menschen wird in diesen kirchlichen Schulderklärungen mit keinem Wort erwähnt. Das ist ebenso befremdlich wie das Ausblenden des Holocausts.

Es scheint über die Beteiligung der lutherischen Kirche an der Zwangssterilisierung und Tötung behinderter Menschen bis heute keine öffentliche Debatte und Auseinandersetzung der Leitungen von Kirche und Diakonie zu geben, nachdem sich allerdings viele einzelne kirchliche Einrichtungen mit ihren Verfehlungen intensiv beschäftigt haben. Und natürlich gab es im christlich-kirchlichen Bereich nicht nur „Verfehlungen“. Über Hilfsbereitschaft und Einsatz christlicher Persönlichkeiten in der NS-Zeit wird oft berichtet. 

Auf der Homepage der Bundes-Diakonie heißt es unter “Geschichte”:

“Zu zentralen Herausforderungen für die Innere Mission wurden die Sterilisierungspolitik und die Vernichtung ‘lebensunwerten Lebens’. In der Folge des ‘Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses’ (1934) wurden auch in diakonischen Einrichtungen zahlreiche Zwangssterilisationen durchgeführt. ‘Für den Zeitraum vom 01.01.1934 bis zum 30.06.1935 wies die evangelische Gesamtstatistik folgende Zahlen aus: In den Pflegeanstalten (total 32.401 Betten) erfolgten 3.317 Unfruchtbarmachungen. In den Krankenhäusern (total 37.516 Betten) betrug die Zahl 5.539. Das ergab im Zeitraum von eineinhalb Jahren die Gesamtziffer von 8.856 Sterilisationen.’  Insgesamt wurde in allen staatlichen und anderen Einrichtungen in den Jahren von 1934 bis 1939 etwa 350.000 Menschen die Fortpflanzungsfähigkeit geraubt.

Seit 1940 setzten systematische Euthanasie-/Krankenmord-Aktionen ein, denen auch Tausende geistig behinderter und psychisch kranker BewohnerInnen aus christlichen Einrichtungen bis 1945 zum Opfer fielen. Die Reaktionen und Verhaltensmuster innerhalb der Verbandsstruktur, sowie der Einrichtungen der Inneren Mission, wiesen eine erhebliche Bandbreite auf. Insofern kam es nicht zu einer einmütigen Haltung der Ablehnung oder gar einer konzertierten Protestaktion.”(9) 

Mehr nicht.
Uwe Kaminsky schreibt auf derselben Homepage:(10)

“Hier gilt die Feststellung Kurt Nowaks, dass das Problem nicht ein ‘ethisch-moralisches Versagen des Protestantismus an sich, sondern ein kirchlicher Verhaltensstil war, welcher die Eindeutigkeit der ethischen Grundentscheidung in der Praxis nicht durchzuhalten vermochte’. Die größte Eindeutigkeit der Ablehnung (der NS-Forderungen, d. A.) fand sich dann dort, wo keine direkte Konfrontation mit den Krankenmorden stattfand und keine institutionelle Verantwortung getragen werden musste. Dies spiegelte sich in den Beratungen und Beschlüssen der Bekenntnissynoden der Evangelischen Kirche der Altpreussischen Union in den Jahren 1940, 1941 und 1943 oder bei Stellungnahmen der ‘Theologischen Societät’ der Württembergischen Landeskirche unter Pfarrer Hermann Diem sowie bei einzelnen  Predigten von Pastoren, die nicht innerhalb der Inneren Mission tätig waren (z.B. Pfarrer Ernst Wilm aus Mennighüfen). Diese Stellungnahmen waren alle eindeutige und kompromisslose Ablehnungen der Krankenmorde. (…)

Der Präsident der Hauptgeschäftsstelle von Innerer Mission und Hilfswerk, Friedrich Münchmeyer, gab im Oktober 1960 eine jegliche Entschädigung von Zwangssterilisierten ablehnende Stellungnahme gegenüber dem Bundesfinanzministerium ab. Zugleich initiierte er einen neuen Eugenischen Arbeitskreis, der von 1959 bis 1968 tagte und sich intensiv mit der Frage der freiwilligen Sterilisation, der Abtreibung und der Meldepflicht für behinderte Kinder befasste. Erst in den 1980er Jahren wandelte sich die Haltung gegenüber den Opfern der Zwangssterilisation in Kirche und Diakonie grundsätzlich, und es wurde für eine Entschädigung dieser vergessenen Opfergruppe plädiert.”

Das alles wäre u.E. doch Grund genug zur öffentlichen Beschäftigung mit dieser Thematik – auch heute noch.

Die Berufsverbände der Psychiater (DGPPN) haben sich sehr spät (2014), die der Kinderärzte 2013 und der Gynäkologen und Chirurgen 1995 in aller Öffentlichkeit zu den Verbrechen vieler ihrer Mitglieder in der NS-Zeit bekannt.
Halten die zentralen Verbände von EKD und Diakonie bzw. Evangelischer Behindertenhilfe solche Bekenntnisse für überflüssig?
Warum äußert sich die Kirche öffentlich nur zu ihrer Schuld bei Kindesmisshandlungen in kirchlichen Heimen und Behinderteneinrichtungen (10a) der Nachkriegszeit, aber zu Zwangssterilisationen und Tötungen behinderter Menschen einige Jahre zuvor nicht?

In einem “Oldenburger Schuldbekenntnis” von 1945 heißt es “Wir haben uns abgewendet, wenn unserem Nächsten an Leib und Leben und an seiner Freiheit Schaden und Leid geschah. Darum erhob sich in unserem Land Gewalttat und Mord, wie es nun vor aller Welt offenbar ist.”
Der “Oldenburger Stachel” fragt dazu: “Auch dieser Formulierung fehlt es an Konkretisierung und dem erkennbaren Willen zur Umsetzung in die Tat. Denn was tat die Kirche für die Opfer des Naziterrors im Oldenburger Land, deren Zahl weit in die Tausende ging? Und in welchen Fällen bekannte sie ihr Stillhalten bei den Verbrechen gegen Menschlichkeit, Leib und Leben? Wo gar verlangte sie Untersuchungen oder setzte sie selbst in Gang?”(11)

Leitende Pfarrer haben in der NS-Zeit zwar protestiert, aber nicht in der Öffentlichkeit:
”… wenn Wurm oder andere evangelische Kirchenführer protestierten, es immer nur intern, auf dem Dienstweg geschah, daß sie also Briefe schrieben, die im Volk nie bekannt wurden. Es erfolgte auch kein einziges klärendes Kanzelwort. Auch die Bekennende Kirche konnte sich nicht entschließen: Auf der 9. Bekenntnissynode am 12. Oktober 1940 in Leipzig wurde lediglich beschlossen, ein theologisches Gutachten über die Euthanasie ausarbeiten zu lassen. (…) Vom mutigen Handeln einzelner Personen abgesehen blieben die Kirchen aber weitgehend stumm und nahmen die Euthanasie als unabwendbar hin. Ihre Haltung in dieser Frage darf als ein besonders dunkles Kapitel deutscher Kirchengeschichte betrachtet werden.“(12)

Die Rezeption Dietrich Bonhoeffers in der Nachkriegszeit und die  ablehnende Haltung der Kirche ihm gegenüber verweisen auf ihre problematische Einstellung zu einer politischen Betätigung von Christen überhaupt.(13) Sogar Bonhoeffer selbst sah ein “richtiges christliches Leben” als unvereinbar mit dem Widerstand gegen Hitler an. Auch nach dem Scheitern der nationalsozialistischen Regierung hat die evangelische Kirche lange gebraucht, diese Haltung zu revidieren.
Das kann natürlich nicht unabhängig von der allgemeinen politischen Situation in der damaligen BRD gesehen werden. So  lehnte man zwar eine politische Betätigung nicht generell ab, aber ein prinzipielles gesetzliches Recht auf Widerstand, als Recht jeden Bürgers gegenüber dem Staat war nicht konsensfähig.(14)

In einer von dem Bundesverband evangelischer Behinderteneinrichtungen (BeB) herausgegebenen Zeitschriftenreihe “Orientierung” gab es 1993/94 ein Heft “erniedrigt, ermordet, verbrannt, verscharrt”, das aber vergriffen und trotz vielfältiger Bemühungen nicht zu finden ist.

1997 erhebt eine psychiatrieerfahrene Frau, die selber die Zwangssterilisierung in Bethel erlitten hatte, Dorothea Zerchin-Buck, schwere Vorwürfe wegen des Schweigens der Kirchenleitungen über ihre Verbrechen in der NS-Zeit in einem Brief an den Bevollmächtigten der EKD, Herrn Dr. theol. Klaus Engelhardt, – auch wegen ausbleibender Wiedergutmachungen.(15)
2011 schreibt sie erneut einen offenen Brief – an den Ratsvorsitzenden der EKD Nicolaus Schneider: “Ihnen und dem Bethel-Vorstand möchte ich einen ebenso offenen Umgang mit der NS-Vergangenheit vorschlagen wie der Präsident der DGPPN Professor Dr. Frank Schneider ihn in seiner beeindruckenden Berliner Gedenkveranstaltung am 26. November 2010 für die Psychiatrie einleitete und dazu die dpa zur öffentlichen Verbreitung hinzuzog”.(16)

Klaus Dörner spricht bei einem “Kirchentagsdialog” 2005 mit Jugendlichen über die kirchlichen Verfehlungen: “die erste Versammlung seit 1945 überhaupt (…), die in bundesweiter Öffentlichkeit dieser ausgegrenzten verfolgten Gruppe gedenken will”, und forderte sie auf, besser als seine eigene Generation aus diesen Verbrechen zu lernen. Es gab zum Kirchentag in Hannover eine Gedenkveranstaltung und eine Begleitausstellung “Psychiatrie im Dritten Reich in Niedersachsen”.

Berichte über diese zaghaften Versuche und Aufforderungen zur Auseinandersetzung findet man nicht etwa auf kirchlichen Internetseiten, sondern beim Bundesverband der Psychiatrieerfahrenen.(17)
Auch in den Denkschriften und Orientierungshilfen der EKD, die bis heute erschienen sind, haben wir nichts dazu gefunden, so erfreulich “modern” einige dieser Texte anmuten. Sie wenden sich beispielsweise gegen die “Genitalverstümmelung” (als ob die Kirche nicht im Glashaus säße!). (18)

Der BeB und der Diakonie Bundesverband haben sich dem sog. Kontaktgespräch Psychiatrie, ein Treffen 12 verschiedener Sozialverbände, angeschlossen  und 2012 deren Stellungnahme zur Behindertenrechtskonvention unterstützt.(19) Damit nimmt man eine behindertenfreundliche Position ein. Das Kontaktgespräch Psychiatrie hat im September 2013 das Begleitprogramm zur Gedenkveranstaltung für die Opfer von “Euthanasie” und Zwangssterilisation gestaltet.

Die Orientierungshilfe der EKD zur Familie von 2013 ist in ihrer Akzeptanz der Vielfalt von Formen familiären Zusammenlebens menschenfreundlich formuliert. Das blieb in kirchlichen Kreisen nicht unumstritten. Die “Kommentare” zu dieser Familien-Orientierungshilfe dokumentieren dementsprechend eine große Bandbreite von Meinungen in der Kirche, die sich in weiten Teilen auch deutlich von dem Text der Orientierungshilfe unterscheiden.(20)

Der Göttinger Theologieprofessor Reiner Anselm ist skeptisch: “Protestantisches Engagement ist durch das Streben nach umfassender Gleichberechtigung und gesellschaftlicher Inklusion gekennzeichnet. Differenzen, gar Hierarchien oder Ausschlüsse werden mit äußerster Skepsis betrachtet. Im Bemühen aber, möglichst keinen auszugrenzen und allen ihren Platz zu ermöglichen, kommt es zu einer so ungekannten ‘Fundamentalliberalisierung’ (Jürgen Habermas), in der nicht mehr Traditionen, Überzeugungen und vorgegebene Werturteile als Herausforderung und als Bedrohung der eigenen Freiheit wahrgenommen werden, sondern das Fehlen von Orientierungsmaßstäben, die unendlichen Möglichkeiten, aber auch die neuen Zwänge, sich zu entscheiden. Eine evangelische Ethik des Politischen wird die hier drohende neue Paradoxie in den Blick zu nehmen haben: Aus dem Bemühen umfassender Inklusion entsteht ein Kursverlust der Freiheit, der politisches Engagement überflüssig erscheinen und zugleich die Sehnsucht nach Orientierung wachsen lässt. Das darin liegende Bedürfnis gilt es aufzunehmen, ohne die gesellschaftliche Pluralisierung zurückdrehen zu wollen. Ein Spagat, der in den nächsten Jahren viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen dürfte.” (21)

Setzen wir dem eine positivere Äußerung aus den “Kommentaren” zur Familien-Orientierungshilfe der EKD entgegen: ”Wir könnten in der evangelischen Kirche den Weg bereiten: weg von der Integration, die Ausgrenzung voraussetzt, hin zur Inklusion; von der Wohlfahrt und Fürsorge zur Selbstbestimmung; vom Objekt zum Subjekt; von den Problemfällen der Gesellschaft zu gleichberechtigten Trägerinnen und Trägern der Menschenrechte. (…) Menschen sollen leben, wie es ihnen beliebt. Entscheidend sind für die Orientierungshilfe allerdings die Haltung und der Umgang miteinander in den jeweiligen Lebensformen. Sie fordert Liebe, Verlässlichkeit, Vertrauen, Fürsorge, Verantwortung. Ihren Kritikern und Kritikerinnen passt das nicht ins Feindbild.”

Soweit so gut.
Aber was geschieht mit Behinderten in kirchlichen Einrichtungen, wenn der Wind politisch mal wieder anders weht? Wird man dann auf die Zwei-Reiche-Lehre zurückgreifen können?

Dabei muss die Beschäftigung mit früheren Verfehlungen gar nicht so angstgeleitet sein. Christian Gaedt, als Leiter der Evangelischen Stiftung Neuerkerode, in der auch NS-Meldelisten ausgefüllt worden waren, warnt nachdrücklich vor dem generell großen Risiko für die Psychiatrie missbraucht zu werden für fachfremde, auch politische Zwecke. Er fordert in einem Vortrag die Thematisierung damaliger diakonischer Positionen: “Sie wissen, dass diese Vorstellungen genau wie der Nationalsozialismus als weitgehend überwunden gelten”, und erklärt dann, “warum ist es trotzdem wichtig (ist), sich heute mit dieser Frage auseinanderzusetzen?“(22)
Heute brauchen wir keine Meldelisten mehr: es sei nur auf die Möglichkeit umfassender Datenerhebung durch die neue Gesundheitskarte hingewiesen. Die öffentliche Aufarbeitung von Zwangssterilisation und NS-Tötungen könnte zu dem dringend erforderlichen kritischen Bewusstsein über Datenschutz beitragen.
“Die Überzeugung, daß die Gesellschaft in der internationalen Öffentlichkeit besser dasteht, wenn sie sich vorbehaltlos mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzt, statt sie zu verschweigen, setzt sich erst in jüngster Zeit durch”, schreibt Carola Sachse 2001.(23)

Wir halten eine öffentliche Debatte für notwendig:

  • einen allgemein verständlichen Klärungsversuch des Verhältnisses der lutherischer Kirche zum Staat,
  • mit Diskussion über die Gültigkeit der “Zwei-Reiche-Lehre”
  • über die durchaus unterschiedlichen Vorstellungen vom Umgang mit behinderten Menschen, die sich damals hinter der „Staatstreue“ der kirchlich-diakonischen Mitarbeiter verbargen, und die sicher ähnlich bis heute fortbestehen – vor allem hinsichtlich Zwangssterilisation und Selbstbestimmung
  • und vielleicht sogar mit Aussagen der Kirchenleitung über ein Recht von Christen auf politischer Betätigung  und Widerstand
  • dabei wird das damalige Bemühen der Kirche um Neutralität kritisch hinterfragt werden müssen, ebenso wie die Meidung der Öffentlichkeit bei Protesten gegen das NS-Unrecht.

So kann der Wandlungsfähigkeit kirchlicher Positionen infolge des jeweiligen Zeitgeistes endlich etwas Substantielles entgegengesetzt werden. Die christliche Behindertenhilfe wird auf diese Weise glaubwürdiger und verlässlicher in der Menschlichkeit ihrer Einrichtungen.

Diese Debatte würde möglicherweise bewirken, dass Mitarbeiter in diakonischen Einrichtungen sich bewusster um Humanität bemühen, vor der Folie der real vor Augen stehenden furchtbaren Alternativen, nämlich wie man in der NS-Zeit mit behinderten Menschen umging: “Die Einsicht in Versagen und Schuld der Vergangenheit schärft das Gewissen”, so heißt es in anderem Zusammenhang in dem Leitbild der Diakonie.(25)
Humanes Verhalten würde somit nicht mehr als selbstverständlich unterstellt bei jedem, der sich “christlich” nennt.
Humanes Verhalten von Mitarbeitern würde vielleicht endlich auch als besondere Anstrengung anerkannt, um die man sich zu jedem Zeitpunkt neu bemühen muss, die zeitaufwändig zu erarbeiten und immer wieder zu hinterfragen ist.

Diese öffentliche Auseinandersetzung sollte dazu beitragen, die Abschottung diakonischer Einrichtungen weiter zu lockern und arbeitsrechtliche Nachteile aufzuheben.(26) Die Berufung der Diakonie auf die im Grundgesetz verankerte Autonomie der Kirchen – zusammen mit einer geforderten, aber unklaren christlichen Identität belasten nämlich die Mitarbeiter dieser Tendenzbetriebe erheblich.(27)
Es erstaunt immer wieder, dass die hier vorgeschlagene öffentliche Schuldanerkennung durch Diakonie und evangelische Behindertenhilfe zur Beteiligung an der NS-Euthanasie nicht häufiger thematisiert wird. Die Diakonie erfreut sich – so scheint es – immer noch in der Bevölkerung eines untadeligen Rufes: weil sie Erwartungen und Bedürfnissen der Bevölkerung nach einer besonderen Autorität – mit dem ganz kurzen Draht nach oben – nicht widerspricht?(28) Um so wichtiger, sich endlich ehrlich als fehlbar (und bei Gelegenheit gefährlich) zu outen.

In der Praxis der diakonischen Arbeit mit Menschen, die Unterstützungsbedarf haben,  gibt es heute sehr unterschiedliche Auffassungen bei den verantwortlichen Leitern der Diakonischen Werke vor Ort. Sie sind primär durch persönliche Wertorientierungen der jeweiligen Persönlichkeiten bestimmt. Da jedes lokale Diakonische Werk rechtlich unabhängig ist von der Kirche und von der Bundes-Diakonie, ist eine direkte Einflussnahme schwierig.  
Eine öffentliche Debatte über den Umgang mit Behinderung, der sich keiner entziehen kann, könnte dabei hilfreich sein Die Medien würden die Argumente bis in den letzten Winkel der Republik tragen: alle möglichen Positionen (auch die – und vielleicht sogar in erster Linie – aus der Zeit des Nationalsozialismus) zum Umgang mit Menschen mit Einschränkungen – besonders in ihren praktischen Konsequenzen – könnten allgemein bewusst werden und zur Diskussion stehen.

Der Verdacht, in der Diakonie werde “Gutmenschentum” geheuchelt, würde hinfällig. Der könnte allerdings aufkommen angesichts der Tatsache, dass sogar die Psychiatrieerfahrenen, die 2009 “8 Forderungen, wie mit der Erinnerung an die Opfer des systematischen ärztlichen Massenmordens von 1939 bis 1949 und den Tätern umgegangen werden sollte”(29) aufstellten, die kirchlichen Täter nicht einmal erwähnen.
Auch in der Wander-Ausstellung „erfasst, erfolgt, vernichtet“ im Jahr 2014 werden u.E. Kirchen und Diakonie geschont.(30) Bei dem neuen T4 Mahnmal zur “Euthanasie” in Berlin ist von kirchlich-diakonischem Versagen kaum die Rede.

Trotzdem und um so mehr: Die evangelisch-lutherische Kirche muss ihre häufig beschworene “Verantwortlichkeit” genauer erläutern, damit niemand in ihren Einrichtungen Angst haben muss. Immerhin erklärte sie, “es bestünde ‘nicht nur ein Recht, sondern sogar eine sittliche Pflicht zur Sterilisierung aus Nächstenliebe und der Verantwortung, die uns nicht nur für die gewordenen, sondern auch für die kommenden Geschlechter auferlegt ist.'” (31)

Das war in der NS-Zeit.
Im April 2015 geht es auf einer Tagung des Bundesverbandes evangelischer Behindertenhilfe wieder um “Verantwortung”.(32)
Ch. Kruse

bitte beachten Sie die Kurzinfo zur “Zwei Reiche Lehre” nach den Anmerkungen.

Anmerkungen
1
300 000 Menschen mit besonderen Belastungen getötet.

2 s. E. KLEE, Die SA Jesu Christi, a.a.O., S. 180 ff,
s. auch http://www.theologe.de/euthanasie.htm.
Andere Quellen sprechen von 1238 Getöteten. http://www.dasdenkmaldergrauenbusse.de/images/stories/NEUENDETTELSAU/infoschild_neuendettelsau_RZ.pdf
Zu dem unten erwähnte Abteilungsleiter Ratz s. auch der EREPRO-Artikel 
http://www.erepro.de/2014/05/12/300-000-menschen-mit-besonderen-belastungen-getotet/
s. Kurzinfo zur “Zwei Reiche Lehre” nach diesen Anmerkungen

3 Max W. Richardt, 2013, Abiturwissen Evangelische Religion: Kompetent evangelisch im Abitur
s. auch Kurzinfo „Zwei-Reiche(/Regimenter)-Lehre“ von A. Tuitjebült nach diesen Anmerkungen

4 In:  Max W. Richardt, 2013, a.a.O., S. 167
s. auch http://images.buch.de/leseproben/9783786343028.pdf

5 Herausgeber der Reichsorganisationsleiter der NSDAP, August 1937, 4. Jahrgang,  8. Folge, 1937 S. 312 “Staat und evangelische Kirche im neunzehnten Jahrhundert.”

6 “’Das Darmstädter Wort’ ist vor dem Hintergrund der sich 1947 abzeichnenden Restauration in Kirche und Gesellschaft und dem beginnenden Kalten Krieg zu sehen. Es steht in der Kontinuität zweier vorangegangene Schuldbekenntnisse des Bruderrats (Exekutivorgan und oberste Instanz der EKD, d. A.).  Die Barmer Theologische Erklärung von 1934 wurde zur theologischen Grundlage für den Kampf gegen die Weltanschauung und die Einflussnahme des NS-Staates auf die Kirche; sie diente zugleich der Abgrenzung (der Bekennenden Kirche, der vorwiegend reformierte Christen angehörten, d.A.) gegenüber den staatstreuen ‘Deutschen Christen’. (Hauptverfasser sind Karl Barth und Hans-Joachim Iwand, d.A.)” Torben Fischer und Matthias Lorenz Hrsg., 2009, Lexikon der ‘Vergangenheitsbewältigung’ in Deutschland. Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945, 2009, S. 39

7 http://www.ekd.de/glauben/abc/stuttgarter_schulderklaerung.html

8 Torben Fischer und Matthias Lorenz Hrsg., 2009, Lexikon der ‘Vergangenheitsbewältigung’ in Deutschland. Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945, 2009, S. 40

9 http://www.diakonie.de/20-jahrhundert-9114.html

10 Kaminsky, Uwe, Eugenik, Zwangssterilisation und “Euthanasie”, o.J. http://www.diakonie.de/eugenik-zwangssterilisation-und-euthanasie-9226.html

10a s. TAZ 4.2.2014 Mittel aus Fond Heimerziehung West reichen nicht.

11 http://www.stachel.de/00.09/9LKH.html   

12 http://www.lpb-bw.de/publikationen/euthana/euthana19.htm

13 s. FR 7.4.2005 Karl Martin, Die Wendung des Christentums zum Zeitgenossen. Dietrich Bonhoeffer entschloss sich “kein Heiliger” zu werden, sondern dem NS Staat Widerstand zu leisten.

14 Das zeigt der Versuch des Staatsanwalts Fritz Bauer, der seit 1952 bis in die sechziger Jahre ein solches Widerstandsrecht einzuführen versuchte – zumindest ein passives.
s. FR 20.7.1998 Claudia Ahrens, Der 20. Juli kommt vor Gericht, Der Remer-Prozess und Fritz Bauers Kampf um eine neue politische Kultur in Deutschland.

15 Dorothea S. Buck-Zerchin, Brief an den Bevollmächtigten der EKD, Herrn Dr. theol. Klaus Engelhardt, 9.2.1997

16 http://www.bpe-online.de/. Lesen Sie hier den offenen Brief.

17 Rundbrief des Bundesverbandes der Psychiatrieerfahrenen 3/2005

18 http://www.ekd.de/EKD-Texte/42888.html

19 http://www.psychiatrie.de/fileadmin/redakteure/dgsp/Texte__Anmeldecoupons_als_PDF/Kontaktgespraech_Psychiatrie_Stellungnahme_zur_UN-Konvention.pdf

20 http://www.ekd.de/download/dokumentation_debatte_orientierungshilfe_ehe_familie.pdf

21 http://www.ekd.de/reformation-und-politik/reformation/staat_und_protestantismus.html

22 Geistige Behinderung und psychische Störungen, Vorlesung 1994/95, Medizinische Hochschule Hannover. S. 12.

23 Ärzte Zeitung, Interview, 7. Juni 2001, zitiert nach Wikipedia http://de.wikipedia.org/wiki/Julius_Hallervorden

24 http://www.diakonie.de/diakonie-in-der-ns-zeit-9224.html
zum Thema Selbstbestimmung s. hilfe Blätter von EREPRO Nr. 14, Wer kann selbstbestimmen? 

25 http://www.diakonie.de/media/Leitbild.pdf

26 s. Brüning, F., Anspruch und Wirklichkeit, SZ 25.10.2011, S. 35

27 s. Diakonie: Kirche – Sozialverband – Unternehmen. Korrespondenzblatt Nr. 3 März 2002

28 unsere Erfahrung nach Jahrzehnten diakonischer Arbeit

29 http://www.zwangspsychiatrie.de/?s=8+forderungen

30 s. http://www.erepro.de/2014/05/

31 “Der Wert des Menschen und die Bewertung menschlichen Lebens von 1914 bis 1934 – Welche Rolle spielt der Erste Weltkrieg?” – Susanne Doetz, Institut für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin, Charité- Universitätsmedizin Berlin
http://www.der-paritaetische.de/fachinfos/artikel/news/gedenkveranstaltung-psychiatrieverbaende/

32 “Verantwortung in der Region übernehmen – Soziale Psychiatrie in Zeiten von Umbrüchen.”
http://www.beb-ev.de/inhalt/verantwortung-in-der-region-uebernehmen/

________________________________________________________________________________

 

Kurzinfo zur Zwei Reiche(/Regimenter) Lehre

von A.Tuitjebült,Theologe

Luthers Welt- und Gesellschaftsbild ist mittelalterlich geprägt:

Gottes Reich und das Reich des Teufels (die Macht des Bösen) kämpfen gegeneinander und der Teufel versucht die Menschen, Gottes Geschöpfe, von ihrem Schöpfer abzubringen, so dass sie sich und ihre Schöpfung zerstören.

 In diesem dualistischen  Kampf verfügt Gott über zwei Regimenter:

1. Das geistliche Regiment Gottes
Es kämpft zum Schutz gegen die Macht des Bösen in geistlicher Hinsicht.
Seine Waffen:Verkündigung des Wortes, Evangelium (Kirche) und Gesetz Gottes.

2. Das weltliche Regiment Gottes
Es schützt gegen die Macht des Bösen in leiblicher Hinsicht und bewahrt vor Bedrohungen der äußeren Welt (staatliche Anordnungen der Obrigkeit sind genauso gottgewollt wie die kirchliche Verkündigung).

Beide Regimenter sind von Gott eingesetzt und streng zu trennen.

 

Luther reflektiert hiermit die früheren negativen Erfahrungen der Einheit von staatlicher und religiöser Macht. Für Luther war die Formulierung dieser beiden getrennten  Regimenter im Kampf gegen den Bösen eher unproblematisch, weil sich die damalige Obrigkeit, die Landesherren und Landesfürsten, zum Christ-Sein bekannten.

Es ist problematisch und wissenschaftlich unredlich, wenn heute diese, im damaligen historischen Kontext evtl. stringente Theorie, die späteren Veränderungen im „weltlichen Regiment“ ignoriert: 

  • den dem Christentum gegenüber feindlichen Staat
  • den demokratischen, weltanschaulich neutralen Staat
  • den Staat, der Menschenrechte verletzt


Karl Barth
(evangelisch-reformiert) sieht das Problem der Zwei Reiche(/Regimenter) Lehre darin, dass man nicht versäumen darf, das „weltliche Regiment“ daran zu messen, welchen Beitrag es bringt, die menschliche Gemeinschaft durch Vermittlung von Frieden und Recht  so zu gestalten, dass sie sich der „Königsherrschaft Christi“  annähert und so seinen Beitrag zur Erlösung und Befreiung der Menschen aus Zwängen bewirken kann.

In diesem Sinne hat die Kirche ein „Wächteramt“, wenn die Menschenwürde und die Menschenrechte massiv bedroht sind. (Vgl. Barmer Bekenntnis, 1934, u.a. initiiert von Karl Barth)
 

Vgl. Lit.: Martin Luther, Von weltlicher Obrigkeit. 1523
Karl Barth, Christengemeinde und Bürgergemeinde. 1946

Ich wurde in der NS-Zeit zwangssterilisiert.

Eine Leserin stellte uns die Broschüre “Ich klage an” zur Verfügung, die vom Bund der “Euthanasie”-Geschädigten und Zwangssterilisierten e.V. 1987 herausgegeben und 1997 ergänzt wurde. Sie enthält “Tatsachen- und Erlebnisberichte der ‘Euthanasie’-Geschädigten und Zwangssterilisierten in der Zeit des Nationalsozialismus. Alle Berichte beruhen auf Tatsachen, wie die Herausgeberin Klara Nowak versichert. 

Wir haben hier einen der Berichte (S. 18f) mit dem Titel “Schizophrenie” kopiert. 
Sie können den Text vergrößern mithilfe der Tasten Strg +.
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Fachtag 11. 02.2015 in Augsburg: Geschlossene Unterbringung nach 1906 BGB

Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie lädt ein zu einem Fachtag am 11. 02.2015 in Augsburg:
ALLE ODER KEINER: Geschlossene Unterbringung nach 1906 BGB. Eine Herausforderung für die Sozialpsychiatrie! 

Gerd Mendel, Fachreferent Psychische Gesundheit, vom Caritasverband München und Freising schreibt:

“Werte Kolleginnen und Kollegen,
anbei übermittle ich ihnen eine Information zu einem für Alle Interessierten offenen Fachtag des Fachverbandes Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie (CBP e.V.) zur Thematik der Geschlossenen Unterbringung nach 1906 BGB.

Für den Raum Süddeutschland (Bayern/Baden-Württemberg/Rheinland Pfalz) will diese Fachveranstaltung zunächst im einführenden Vortrag auf die Gegensätze und Anachronismen von sozialpsychiatrischen Grundhaltungen und der Einrichtung von geschlossenen Wohnheimplätzen hinweisen, diese genauer beleuchten und diskutieren.

Daran anschließend soll der Frage nachgegangen werden, wie geschlossene Wohnheimplätze in die regionale Versorgungsverantwortung und -verpflichtung eingebunden und mit den anderen Bausteinen verbindlich vernetzt werden können – gemäß der Leitlinie und des handlungsleitenden Prinzips: „Keiner kann es allein“. Diese Thematik soll mittels zweier aus unserer Sicht gelungener Praxisbeispiele vermittelt und in den nachmittags stattfindenden Foren vertiefend und gründlich diskutiert werden. Dabei handelt es sich um die Versorgungsregionen Stuttgart und den Landkreis Mühldorf/Altötting.

Von wesentlicher Bedeutung ist uns der kritische Blick der Psychiatrie Erfahrenen und der Angehörigen psychisch kranker Menschen auf die Thematik „Geschlossene Wohnheimplätze“, bevor in der abschließenden Diskussion im Plenum die Ergebnisse des Fachtags festgehalten werden.”

Hier ist das Programm des Fachtages

 

Einsatz für die Rechte von behinderten Menschen: Theresia Degener

Frau Prof. Dr. Theresia Degener schickte EREPRO wieder einen aktuellen Bericht über ihre Arbeit in dem Genfer Ausschuss der Vereinten Nationen für die Rechte behinderter Menschen. Der liegt in verschiedenen Fassungen vor – auch in leichter Sprache.
Bericht aus Genf_8
Bericht aus Genf_8_Leichte Sprache
Der Bericht ist zu Beginn angenehm persönlich gehalten und liest sich gut, obwohl diese Gremienarbeit natürlich immer sehr bürokratisch und trocken erscheint. Dabei ist sie ist doch sehr wichtig: Es besteht zur Zeit immer noch die Möglichkeit für Individualbeschwerden bei den Vereinten Nationen. (Adresse auf unserer Startseite). Der Staatenbericht über die Rechte Behinderter in Deutschland, wurde auf 2015 verschoben.
EREPRO hat Genaueres zu dem Thema berichtet: UN überprüft Selbstbestimmung – auch in der Psychiatrie.

 

 

Psychiatrie trifft auf Kunst: Variationen über Wirklichkeit

Es gibt ein Gefühl der Unsicherheit gegenüber der Wirklichkeit. Oder wie ist es sonst zu erklären, dass gleich zwei große Projekte in Berlin versuchen sich dem Phänomen zu nähern?
Im Theater HAU in Berlin stand 2013 im Programm “Phantasma der Wirklichkeit”. Intellektuelle, Künstler und Soziologen trafen sich unter diesem Motto mehrfach und diskutierten mit dem Theaterpublikum.
Außerdem läuft in der Hauptstadt eine Ausstellung der Akademie der Künste: “Schwindel der Wirklichkeit”. Sie war ein Jahr lang mit wöchentlichen Veranstaltungen und Diskussionen gemeinsam mit dem Publikum vorbereitet worden.
Sporadisch konnten wir von EREPRO daran teilnehmen, und haben uns dabei dann überrascht gefragt: Ist das nicht auch unser Thema in der Psychiatrie – auch im Doppelsinne des Scharnier-Wortes “Schwindel” (einerseits als Irreführung und andererseits als Taumel) der Wirklichkeit? Aber von Psychiatrie war in den vorbereitenden Veranstaltungen keine Rede.

Hat die Psychiatrie mit der Diskussion über Wirklichkeit und Kunst nichts zu tun?
Wir haben nachgefragt. Hier ist der E-Mail Austausch mit der Akademie der Künste (AdK) in Berlin:
11.3.13 EREPRO:
Ich frage mich, ob Sie in Ihrem “Vorbereitungsbüro” für die Ausstellung “Schwindel der Wirklichkeit” im Herbst auch Kunst von Menschen vorgesehen haben, die Ihrem erklärten Ziel der “Durchlässigkeit” zu nahe gekommen sind, und dabei die Kontrolle über ihr Leben verloren haben. Häufig bekommen sie durch ihre Kunst die Wirklichkeit wieder in den Blick. Viele schaffen es aber nicht. Ihre Kunst beeindruckt uns am meisten vor der Desintegration ihrer Persönlichkeit.
Findet die Nähe Ihres Themas zur Frage “Kunst und Psychiatrie” Berücksichtigung? Nur zwei Beispiele: Paul Celan und van Gogh. Jedenfalls ist für Künstler mit Erfahrung in der Psychiatrie ein Schwindel der Wirklichkeit oft schöne, aber auch bittere Realität, zu deren Darstellung ihre Kunst jedenfalls etwas beiträgt.
16.3.14 AdK, Manos Tsangaris:
Dank für Ihre Mail, die um ein paar Ecken bei mir ankam.
Sie haben völlig Recht. Das ist ein sehr wichtiger Aspekt, nicht nur was sehr bekannte bis populäre Fälle wie Paul Celan und Vincenth van Gogh angeht, sondern auch die unzähligen Menschen, denen der Boden unter den Füßen wegrutscht, was sie als “bittere Realität” bezeichnen.
Jetzt denken wir darüber nach, in welcher Form wir uns diesem Aspekt des Themas nähern sollten und könnten.
Ich bin seit vielen Jahren gut bekannt mit einigen Leuten, die im Zusammenhang der Heidelberger Prinzhorn-Sammlung arbeiten und forschen.
Da sehe ich evtl. einen Ansatz. Oder … was würden Sie vorschlagen?
NB: Durchlässigkeit geht vielleicht nur dann, wenn überhaupt etwas da ist (oder immer wieder neu entsteht) durch das hindurch sie geschieht. Sonst fliegen wir ja auseinander.
24. 3.14  EREPRO:
Es freut mich, dass Sie die Anregung aufgreifen und die Psychiatrie in der geplanten Ausstellung noch Beachtung finden soll. Ich selber bin keine Spezialistin für das Thema, obwohl es mich interessiert. Ich habe mich etwas umgehört und schicke Ihnen einige Informationen. Viel habe ich nicht gefunden.
Thomas Röske (Leiter der Prinzhorn Sammlung) ist, wie Sie sagen, ein wichtiger Ansprechpartner. Er wird immer wieder genannt.
Die Wanderausstellung “Zeige Deine Wunde” der Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, Evers-Meier, an der Ch. Schlingensief und Klaus Staeck beteiligt waren – aus dem Jahr 2006 – ist Ihnen sicher bekannt. 
Die Berliner Galerie “Art crue” hat letztes Jahr Werke von Jutta Jentges (geb. 1961) ausgestellt, eine ausgebildete Künstlerin. Im Katalog der Ausstellung sind Äußerungen von Jentges über Ihre Arbeit kurz zitiert. Aufschlussreicher ist ein Film von Arte über ihre Kunst: Arte Themenabend “Wahnsinnsfrauen”, 2000. https://www.facebook.com/media/set/?set=a.564606030242950.1073741829.256391511064405&type=1
http://www.neues-deutschland.de/artikel/835903.die-malerische-erforschung-des-inneren.html?action=print

Einige kurze Notizen zum Thema Psychiatrie im Kontext des Themas “Schwindel der Wirklichkeit”.
Bei Menschen in besonders schwierigen psychischen Situationen besteht die Integrationsleistung ihrer Kunst darin, Chiffren und Symbole zu schaffen, und erlebte Bedrohungen und Ängste mitzuteilen und dadurch zu bewältigen.
“Die Vollkommenheit des Unvollkommenen fasziniert Jutta Jentges…” hieß es in der Ausstellungseinladung der Galerie „Art crue“. Jentgens will “das Uewusste zu Wort kommen lassen”. Man könnte sagen, dass es  „in dieser Kunst darum (geht), die ‘Vernunft zu erobern’. Dem ‘Abgrund der Unvernunft’ (…) muss jede Kultur einen Status verleihen, indem sie ihn entsprechend aufnimmt und umwandelt, damit das Leben stattfinden kann. Ein solcher Status wird sozial konstruiert, er impliziert die ästhetische Vermittlung” (P. Legendre, Über die Gesellschaft als Text. 2012, S. 111).
Dabei gilt es besonders für Künstler, die mit schweren seelischen Verletzungen und Kränkungen sowie mit zu großer seelischer „Durchlässigkeit“ fertig werden müssen, zu beachten: „Wer nur auf sich selber zählt“ und „gegen die Menschen lebt, ist zum Untergang verurteilt. Er betritt die abschüssige Bahn des Mutwillens, und indem er sich aus der Ordnung der Gemeinschaft stürzt, stürzt er sich unvermeidlich aus dem Leben selbst. Auch wenn er einen ungerechten Beschluss der Gruppe bekämpft, darf der Mensch sich nicht von ihr ausschließen.“ (Starobinski, J., Besessenheit und Exorzismus. 1978. Über die Tragödie von Sophokles’ “Ajax”)
Über die somit  persönlich und sozial integrative Funktion dieser Kunst im Umgang mit dem Chaos und der “tierischen Raserei” in der Natur des Menschen, können für den Betrachter Grenzen der Zuträglichkeit von „Durchlässigkeit“ erlebbar und ein “Schwindel der Wirklichkeit” vermittelt werden. In einer Grafik von Dieter Kühn, die ich Ihnen evt. zur Verfügung stellen könnte, wird das sehr deutlich.
Durch Respektieren der “‘repressiven’ Regeln, die die Humanität des Menschen ausmachen” (Starobinski S. 35) können diese Künstler versuchen, sich selbst wieder in den Griff bekommen.  Für Heike Schulz (Wohlgemuth-Archiv  Bayreuth) zeigt sich das am Beispiel von Hildegard Wohlgemuth in klaren Linien, in einer eher zweidimensionalen Darstellung und strengen Konturen, die sich auflösen bei Kunstwerken, die in psychotischen Phasen entstanden. Sie schreibt: „Die Konturen geben Halt, schaffen Distanz und Kontrolle über eine im Wortsinne „verrückte“ Erlebniswelt, der die Malerin bisher hilflos ausgeliefert war“. (In „Hildegard Wohlgemuth und ihre Kunst“, demnächst veröffentlicht auf unserer Homepage www.erepro.de.)
17.4.14 AdK, Manos Tsangaris:

Vielen Dank für Ihre ausführliche und informative Mail!
Ich antworte erst jetzt, weil ich erst einmal ein Operchen zu Ende schreiben musste und von den Menschen weggeschlossen war.
Es geht, was meinen Teil betrifft, weniger um die Ausstellung (*closed circuits*) zum Schwindel der Wirklichkeit – die wird von der Sektion Bildende Kunst kuratiert – sondern mehr ums so genannte Metabolische Büro zur Reparatur von Wirklichkeit.  Und hierbei halte ich es für unbedingt geboten, Wirklichkeitsfragen auch in dem Sinne und unter den Gesichtspunkten anzusprechen, wie Sie es aufzeigen. Auch ich bin kein Fachmann darin, aber bezüglich Prinzhorn kenne ich mich ein wenig aus, weil ich vor ca. 25 Jahren ein Stück mit Texten von Hyazinth Freiherr von Wieser geschrieben habe.
Wenn Sie unsere Arbeit ein bisschen verfolgen, hoffe ich, dass Sie auch dabei sein werden, wenns ans Metabolische geht.
Es folgte am 30.10.14  eine Mail mit einem Veranstaltungshinweis von der AdK, Manos Tsangaris:
Kolumba zu Gast im Metabolischen Büro.
Nächste Woche, vom 4.-8.11., wird Kolumba, das Kölner Kunstmuseum, im Metabolischen Büro zur Reparatur von Wirklichkeit in der Akademie der Künste Berlin am Hanseatenweg zu Gast sein (täglich 11-19 Uhr).
Dies bietet die Möglichkeit, einen Ausschnitt der vielfältigen Museumsformate zu diskutieren und sich mit eigenen Fragen einzubringen. Dazu wird Kolumba mit Werken der eigenen Sammlung u.a. von Kurt Benning, Thomas Böing, Felix Droese, Olaf Eggers und Thomas Rentmeister anreisen (…) www.schwindelderwirklichkeit.de.

Der hier genannte Felix Droese setzte Erfahrungen während seines Zivildienstes in einer psychiatrischen Klinik Anfang der siebziger Jahren (vor der Psychiatriereform!) um in den graphischen Zyklus “Grafenberg – die Welt hinter der Welt” (Fotos/ Filme)1. Manos Tsangaris hat mit Stefan Kraus im Metabolischen Büro dazu ein Gespräch geführt  unter dem Motto “Warum bin ich hier? –  ein Gastspiel aus der Rheinprovinz.2 Wir von EREPRO bedauern, an diesem Beitrag des Metabolischen Büros zur psychiatrischen Thematik nicht teilgenommen zu haben, da keiner von EREPRO in Berlin sein konnte.

Worum geht es?
Die Akademie der Künste will mit dem Gesamtangebot Ausstellung”Schwindel der Wirklichkeit” und “Metabolisches Büro zur Reparatur der Wirklichkeit” “Navigationshilfe für das intellektuelle und emotionale Erfassen der Welt” anbieten! “Die tief greifenden Veränderungen der Kunstpraxis durch die Neuen Medien, insbesondere durch die Digitalisierung”, heißt es weiter auf der Internetseite, “haben zu immer neuen Strategien geführt, in und mit den Künsten Wirklichkeit zu konstruieren oder zu dekonstruieren, um im Sinne einer kritischen Reflexion einen Beitrag zur Aufklärung und zum Widerstand zu leisten.“3
Große Worte.
Die Frage nach der “Wirklichkeit” beschäftigt auch die Psychiatrie – notgedrungen. Wie oft stehen wir Mitarbeiter vor dem Dilemma nicht zu wissen, was ist Wahn, und was ist Wirklichkeit – besonders bei Menschen mit der Diagnose Verfolgungswahn (Paranoia).
Kurz ein Beispiel aus der Praxis: der Schwindel hat uns gepackt, als sich die Frage stellte, ist es möglich, ist es real, dass die CIA eine kurdische Mutter Aiza Cetik (geänderter Name) beobachtet, deren Ehemann in Deutschland im Gefängnis sitzt, und sie Angst haben muss, ihr Kind könne auf dem Schulweg entführt werden? Wer will beurteilen, ob das der Wirklichkeit entspricht! Diagnostizierende Psychiater haben Aizas Ängste für “nicht real” erklärt, deren Ursache nicht wirklich ernst genommen und sie damit den psychisch Kranken zugeordnet. Das ging so weit, dass das Jugendamt ihr Kind in einem weit entfernten Heim unterbrachte.
Wir, Mitarbeiter in der ambulanten Sozialpsychiatrie, haben die Frage “Wahn oder Wirklichkeit” offen gelassen und uns um Aiza gekümmert, da sie offensichtlich Unterstützung benötigte. Und wir sorgten dafür, dass der Kontakt zwischen Mutter und Tochter bestehen bleiben konnte.
Woher hat die Psychiatrie die Autorität, Wirklichkeit in der Weise festzulegen? Die Macht dazu hat sie offensichtlich.

Ergänzend oder parallel zur Ausstellung “Schwindel der Wirklichkeit” der AdK gibt es also das “Metabolische Büro zur Reparatur von Wirklichkeit” unter Leitung des Komponisten Manos Tsangaris. “Reparatur, wegen der Vorstellung irgendwas funktioniert nicht mehr.” Man will sich darum kümmern, dass es wieder funktioniert. “Wir können nur in einer Wirklichkeit reparieren”. Das ist einer der wichtigsten Sätze.
Das Büro organisiert u.a. Workshops dazu. Wir haben an einem Workshop teilgenommen.
Um der Vorstellungswelt des Komponisten Manos Tsangaris vom “Metabolische Büro zur Reparatur der Wirklichkeit” bei der Ausstellung “Schwindel der Wirklichkeit” etwas näher zu kommen, zitieren wir aus einem seiner Werke “Poesie in Bewegung” (einige Worte und Sätze aus dem Zusammenhang gerissen): “unfinshed”, “das Unfertige durchlassen”, “selber durchlässig sein und nicht diese völlig fertige abgepackte überall gegenwärtige Undurchlässigkeit das abgesicherte wasserdichte völlig fertige gefinishte und Schluss?” “Im Gewerke wirken alle Meisterhaftigkeiten lächerlich und öde fertig angesichts des Werdens”. Natürlich muss man den Text hier im Ganzen lesen.

Ganz pragmatisch und nah an der Wirklichkeit
Ein mehrere Disziplinen übergreifender Master -Studiengang  an der Züricher Hochschule der Künste “spannt einen Raum auf für andere künstlerische Fächer, aber auch für kunstfernere Bereiche wie ‘Naturwissenschaften, Ökonomie’ “. Warum nicht auch für Psychiatrie, Psychotherapie?
Spielen wir es doch einmal durch: anstelle von “Kunstwerk” werden wir (psychiatrisch/therapeutisches) “Gespräch” einzusetzen und prüfen, ob sich auch dafür ein Reparaturbedarf ergibt. Die Wirklichkeit unserer (Gesprächs-)Situation wird sich wie unter einem Vergrösserungsglas (http://www.conet.de/C1257822003AF551/CurrentBaseLink/W28FEFDX052CCHEDE/%24FILE/Web-Lupe-300x200.jpg) zeigen. Vielleicht wird unsere Wahrnehmung des Gesprächs und damit unserer Arbeitssituation in der Psychiatrie tatsächlich geschärft. Wir haben diese Übertragung auf das psychiatrische Gespräch erst nachträglich vorgenommen und während des Workshops im  “Metabolischen Büro zur Reparatur von Wirklichkeit” nicht zur Debatte gestellt.
“Metabolisch” bedeutet, man beschäftigt sich mit dem Verarbeitungs-, dem Verdauungsprozess. (Metabolismus=Stoffwechsel). Dieser spielt für die Aneignung von Wirklichkeit eine große Rolle. Wie hat man sich diese “Verdauung” vorzustellen? Es gibt keine fertige Antworten, man sollte sich dem Prozess überlassen.
Wir bleiben in dem Workshop auf der praktischen Ebene. Tsangaris formuliert in einem Interview im Katalog “Schwindel der Wirklichkeit” die Frage: “Wie kann man mit ganz einfachen Mitteln die Räume so gestalten, dass neue Wirklichkeiten entstehen, phänomenologische Untersuchungen von Grundsituationen. Was ist ein Mensch in einem Raum mit einem anderen Menschen ihm gegenüber …”
http://www.conet.de/C1257822003AF551/CurrentBaseLink/W28FEFDX052CCHEDE/%24FILE/Web-Lupe-300x200.jpg: Ganz unser Thema in der Psychiatrie! So können wir uns der Befragung anschließen.

Aushänge im Worshop

  

Es sind “15 Studierende und Lehrende, die in der Werkstatt mit Wirklichkeit arbeiten. Die   Studierenden haben sich in drei Gruppen aufgeteilt.
Die 1. Gruppe macht ‘Wirklichkeitsaufnahmen’ aus verschiedenen Perspektiven, bzw. sie produziert solche Aufnahmen im Rahmen kleiner Versuchsanordnungen.
Diese Aufnahmen werden dann der zweiten Gruppe ins Büro geliefert und dort als ‘Rohmaterial’ möglicherweise zweckentfremdet, neu behandelt, kombiniert und komponiert.
Daraus entsteht der Versuch, eine gemeinsame Wirklichkeit zu erzeugen und zu verhandeln als work in progress – es geht um die Prozesse einer  gemeinsamen Verarbeitung eher als um die Herstellung eines fertigen Produkts.”

Hier folgen nun Bemerkungen, in denen wir nachträglich ein (fiktives) Zusammentreffen von Psychiatrie und Kunst arrangieren. Wir haben einige selbst protokollierte Aussagen und Untersuchungssituationen im Fortgang dieses Workshops hergenommen (zum Teil auch Zitate aus dem Katalog “Schwindel der Wirklichkeit” und von www.schwindelderwirklichkeit.de), um wie in einem Vergrößerungsglas das psychiatrische Gespräch besser zu erkennen.

  1. “Es geht um eine Anleitung zu ‘undiszipliniertem’ (= Disziplinen übergreifendem) Denken und Vorgehen.”
    http://www.conet.de/C1257822003AF551/CurrentBaseLink/W28FEFDX052CCHEDE/%24FILE/Web-Lupe-300x200.jpg : Das wäre für die Psychiatrie eine ungewohnte Zielsetzung. Da sie sich grundsätzlich um ganz eigene, feste Standards, Festlegung methodischer Verfahren, Prinzipien und Leitlinien bemüht – und versucht, sich damit als seriös und professionell zu beweisen. Ein  ziemlich entgegengesetztes Vorhaben, denn auch bei lebendigem, flexiblen Kontakt im Gespräch mit Hilfesuchenden setzt diese eher dogmatische Grundausrichtung der Kreativität Grenzen und verursacht Fachkräften die “undiszipliniert” vorgehen, schnell ein schlechtes Gewissen.

  1. Die Züricher wollen sich “in Kontexte vorwagen, in denen (das) Selbstverständnis (der Kunst) auf dem Spiel steht.”
    http://www.conet.de/C1257822003AF551/CurrentBaseLink/W28FEFDX052CCHEDE/%24FILE/Web-Lupe-300x200.jpg : Aus Sicht der Psychiatrie wird das Ziel des Vorgehens so immer abenteuerlicher! Können wir es uns leisten, unser Selbstverständnis in Frage zu stellen? Die Psychiatrie  – eine nicht unumstrittene Disziplin – versucht nämlich im Gegenteil ihren Ruf (besonders als Naturwissenschaft) mit allen Mitteln zu festigen.

  1. “Was lebt und tut ist zu vielfältig dimensioniert, um sich in Schubladen zu fügen. Was aber bedeutet das für die Kunst”, wenn man in dieser Ausstellung und indem Metabolischen Büro “neue Versuchsanordnungen erstellt, in denen sich das Individuum mit seiner Wahrnehmung oder seinen Vorstellungen von Wirklichkeit in Frage gestellt sieht und sich immer neu bestimmen muss?”
    http://www.conet.de/C1257822003AF551/CurrentBaseLink/W28FEFDX052CCHEDE/%24FILE/Web-Lupe-300x200.jpg: “Was lebt und tut” ist auch unser Metier. Wir aber pflegen Vielfältigkeit und neue Dimensionen zu kappen durch psychiatrische Diagnose-Schubladen. Was würde sich ändern, wenn wir mehr Vielfältigkeit zuließen und Differenz positiver sehen würden?
    Eigentlich ist ja in vielen therapeutischen Situationen eine “Neubestimmung des Individuums” auch unser Ziel, oder geht es doch viel mehr um das Definieren der Individualität des Klienten als abweichend und seine Verpflichtung auf vorgefertigte Bilder von “Normalität”? Es ist eine Gratwanderung für die Mitarbeiter in der Psychiatrie: einerseits kreative Unterstützung von Menschen bei der Suche nach ihrer Identität im Bemühen um Wiedererkennbarkeit im Kontakt mit Anderen, andererseits deren Fremdbestimmung insofern, dass vermittelt wird, wie eine in die Gemeinschaft integrierte Individualität auszusehen hat. Leider neigt die Psychiatrie oft mehr zu Letzterem.

  1. Jetzt zum Ablauf des Workshops. Alle sind auf Beobachterposten. Manos Tsangaris leitet den Prozess durch Nachfragen. Lehrende und Studenten beschreiben konzentriert und sehr detailliert einen Vorgang, der schließlich (Tage später) in einem Kunstwerk gipfeln wird. Dabei kommt es exemplarisch auf das Verfahren an.
    http://www.conet.de/C1257822003AF551/CurrentBaseLink/W28FEFDX052CCHEDE/%24FILE/Web-Lupe-300x200.jpg: Hätten wir je die Muße für eine so genaue Beobachtung der Vorgänge bei einem therapeutischen  Gespräch? Sollten wir? Ist uns das Verfahren gegenüber dem Ergebnis wichtig genug?

  1. Zunächst wird die Frage nach den Gegenständen gestellt. Wer hat was aus welchen Gründen gesammelt?
    http://www.conet.de/C1257822003AF551/CurrentBaseLink/W28FEFDX052CCHEDE/%24FILE/Web-Lupe-300x200.jpg: Auch wir fragen uns, aus welchem Grund wir einen Gesprächsgegenstand gewählt haben. In erster Linie ist das Problem des Hilfesuchenden unser Gegenstand. Woher haben wir ihn? Übernehmen wir das Problem  einfach von ihm, oder interpretieren wir: welches Problem hat er “wirklich”? Könnten wir den Kontext beschreiben, den Ort, wo er gefunden wurde? Was wissen wir über seine Geschichte?
     Wir können Leute, die mit dem Klienten zu tun haben oder hatten, befragen und würden so ein vielfältiges, oft schillerndes Bild des Gegenstandes “Problem” erhalten, ergänzt durch die Recherche des Kontextes und der Geschichte.
    Aber wer geht so vor?

  1. Verschiedene Gegenstände werden im weiteren Verlauf kombiniert. Man lässt die Kombination auf sich wirken.  Das geht nur, wenn zunächst alles gleichrangig zugelassen wird, um gleichzeitig zu selektieren. “Verschiedene Wahrnehmungen schaffen eine neue Wirklichkeit”.
    http://www.conet.de/C1257822003AF551/CurrentBaseLink/W28FEFDX052CCHEDE/%24FILE/Web-Lupe-300x200.jpg:  An dem Punkt zögern wir wieder. Wie können wir “alles zulassen” angesichts der vorgefundenen, meist riesigen Schwierigkeiten des Klienten, dem Anlass des Gesprächs? Sind wir nicht zu einer schnellen Änderung verpflichtet?
    Effizienz- und Leistungsdruck verhindern häufig das Kombinieren des Gegenstandes “Problem des Hilfesuchenden” mit anderem. Zum Beispiel mit Themen wie “besondere Fähigkeiten” und “Hobbys und Vorlieben” und verhindern eine neue Wahrnehmung des Klienten.

  1. Wir lernen in dem Workshop, die Gegenstände, die wir beschreiben, haben immer einen narrativen Aspekt, ohne den ein Bild der Wirklichkeit nicht denkbar ist. Diese Interaktion ist wesentlich. Es geht um den sozialen Aspekt von Wirklichkeit durch das “Mit-teilen”. “Durch Wahrnehmung wird der Rest der Welt isoliert”: “Der Mensch funktioniert einfach so beim  Schritte machen”. “Im Metabolischen Büro wird (…) an solchen Verschaltungen gearbeitet, in Bezug gesetzt zu einer Wirklichkeit, die täglich vor unseren Füßen liegt – und, wo sie nicht schubladisiert ist, ausgeprägten Schwindel provozieren mag.”
    http://www.conet.de/C1257822003AF551/CurrentBaseLink/W28FEFDX052CCHEDE/%24FILE/Web-Lupe-300x200.jpg : Wahrnehmungspsychologisches Wissen, das uns in der Psychiatrie natürlich auch bekannt sein sollte, und nicht ignoriert werden kann, und seien die zu lösenden praktischen Schwierigkeiten  noch so dringend.
    Aber bei welcher Gelegenheit beschäftigen wir uns damit? Denken wir in der Alltags-Routine noch daran, Klienten ausreichend Gelegenheiten zum interaktiven Erzählen zu bieten und damit zur Stabilisierung ihrer Wahrnehmungen, um Desorientierung und Angst zu vermeiden?

  1. Damit sind wir im Workshop schon beim “Verdauungsprozess” angelangt. Stichworte: Verständigung durch Sprache, Mentalisierung, Protokolle, Etikettieren von Dingen, Bezeichnungen, Verabredungen. Ein ständiger Prozess.
    Wie geschieht die Dokumentation von Wirklichkeit? Aus der Ethnologie – so heißt es – kennen wir die Objektivierung – im Workshops geschieht sie durch andauerndes einfaches Draufhalten der Filmkamera. Das wird kritisch gesehen: “Kommunikation geht aber nur durch Festhalten am eigenen Wirklichkeitsfilter” (der natürlich reflektiert werden kann).
    http://www.conet.de/C1257822003AF551/CurrentBaseLink/W28FEFDX052CCHEDE/%24FILE/Web-Lupe-300x200.jpg : Muss diese Kritik an der (objektivierenden) Ethnologie gleich gesetzt werden mit Kritik an der Psychiatrie?
    Dokumentation ist in der psychiatrischen Arbeit ein problematisches Thema. Wo sie – wie so oft – eins zu eins (pseudo-“objektiv”) durchgeführt wird, reduziert sie in der Regel Sinn und Verständnis. Deren Vermittlung, Verdauung für den Leser, klappt nur beim Offenliegen eigener Wahrnehmungsfilter des Verfassers, die nicht zugunsten seiner Schein-Neutralität unterdrückt werden sollten. Denn gerade die verfälscht die Wirklichkeit.

  1. Die “Kunstwelt soll dem Menschen wieder etwas bringen”. “Sich einen Reim machen – nur so funktioniert Wahrnehmung, nur so kann man sich auf das Chaos einlassen” und “die jeweilige Perspektive verdauen”.
    http://www.conet.de/C1257822003AF551/CurrentBaseLink/W28FEFDX052CCHEDE/%24FILE/Web-Lupe-300x200.jpg : In der Psychiatrie besteht unausgesprochen Konsens über mehr Gültigkeit der Mitarbeiterwahrnehmung als Standard für “Normalisierung”  seines Gegenübers, des Patienten. Ein Konzept, das aus der Psychiatrie nicht wegzudenken ist. Wie kann man sich dann aber auf Chaos überhaupt einlassen (wollen) – und sei das noch so hilfreich, um die Perspektive des Klienten ansatzweise zu verdauen? Es ist anzunehmen, dass der unabdingbare Verdauungsprozess – und damit gelungene  Kommunikation (sich einen Reim machen) – für beide Gesprächspartner bei dieser Gemengelage leicht störbar ist!

  1. Das Wohlgefühl Wirklichkeit erkannt zu haben, des Verstehens und Realisierens, tritt leichter ein bei einem Vortrag, der durch eine Powerpoint Darstellung begleitet wird. Schon alte Künstler arbeiteten mit diesem Prinzip ein Bild in einen “Fließtext” einzubinden, darauf verweist Tsangaris. Dabei werden für den Verdauungprozess des Partners verschiedene Sinne angesprochen.
    http://www.conet.de/C1257822003AF551/CurrentBaseLink/W28FEFDX052CCHEDE/%24FILE/Web-Lupe-300x200.jpg : Man kennt dieses Prinzip, aber haben wir im therapeutischen Gespräch Gelegenheiten, das Wohlgefühl von “Wahrheit”, des Verstehens auf diese Weise zu fördern? Wir haben immer wieder festgestellt, dass es sinnvoll ist, auf bereitliegenden Notizzetteln Thema und Gedankengang des Gesprächs nebenbei, wie zufällig, bildlich zu skizzieren. Gesprächspartner greifen gerne diesen zweiten Kommunikationsweg auf und gestalten ihn weiter, indem sie selbst der Skizze etwas hinzufügen. Im Wohlgefühl der Erkenntnis hat mancher schon den voll gekritzelten Zettel mit nach Hause genommen. Einige Klienten springen auch während des Gespräches auf und spielen spontan die erzählte Geschichte. Der Einsatz von Figuren und Puppen, die zur Verfügung stehen, hat eine ähnlich sinnstiftende, verstärkende Wirkung.

  1. In der Züricher Projektgruppe gab es Beauftragte für Warten und für Stille. Es führt hier zu weit, deren Beobachtungen im Einzelnen wiederzugeben. Nur so viel: Den Workshop-Teilnehmern wurde konkret die Erfahrung vermittelt, wie anhaltende Stille wieder einen stärkeren Selbstbezug herstellt – mit geänderter Wahrnehmung. Nur mit Rückzugsmöglichkeiten gelingt übrigens – so eine weitere Erkenntnis – die Orientierung im Chaos der Eindrücke, die verdaut werden müssen.
    http://www.conet.de/C1257822003AF551/CurrentBaseLink/W28FEFDX052CCHEDE/%24FILE/Web-Lupe-300x200.jpg : Wie oft denken wir im therapeutischen Gespräch an Warten und die wohltuende Wirkung von Stille? Mitarbeiter haben die Chance, durch den introvertierten Blick ihres Gegenübers darauf aufmerksam zu werden. Der Klient ist dann zurückgezogen mit sich selbst beschäftigt und nimmt nichts um sich herum mehr wahr. Wer nicht wartet, bis dieser Blick sich ändert, und der Gesprächspartner “zurückkommt”, vertut eine enorme Stoffwechselchance und behindert den Erkenntnisprozess des Gegenübers.

  1. Diese Betonung des Workshops auf Verarbeitungs- und Stoffwechselprozesse, denen auch in einer improvisierten Inszenierung ein großer Raum zugewiesen wurde, führte einprägsam vor Augen, welche Bedeutung diesen Vorgängen zukommt. Insbesondere wurde klar: Verdauung dauert – zwangsläufig. Viel Zeit muss für diese ergebnisoffenen Rezeptionsvorgänge eingeräumt werden.
    http://www.conet.de/C1257822003AF551/CurrentBaseLink/W28FEFDX052CCHEDE/%24FILE/Web-Lupe-300x200.jpg : Wir wissen auch das in der Psychiatrie. Trotzdem – fürchte ich – fehlt uns in der Regel die Zeit. Dabei steht oft auch eine ausgeprägte Ergebnisorientierung im Wege. Finanzierungsdruck tut ein Übriges. Ich glaube aber nicht, dass in der Psychiatrie so besonders viele Aktivisten unterwegs sind, die “Ergebnisse” nicht abwarten könnten. Gesellschaftlich wird der Kunst wohl doch mehr Gelegenheit zur “Ergebnisoffenheit” eingeräumt als der Psychiatrie mit ihrer Aufgabe sozialer Kontrolle und ihrer Korrekturfunktion. Und die Kunst hat auch ihre Probleme beispielsweise mit Ranglisten und ähnlichen Erfolgskriterien, welche einer Ergebnisoffenheit nicht gerade förderlich sind.

  1. Eine der Studentinnen aus Zürich verschaffte sich interessante, neue Blicke auf die Wirklichkeit und ihre Variationen, indem sie durch eine der durchsichtigen Plastikdosen mit Struktur blickte, in denen Obst oft verpackt ist. Horizont erweitern, Neues erfahren!
    http://www.conet.de/C1257822003AF551/CurrentBaseLink/W28FEFDX052CCHEDE/%24FILE/Web-Lupe-300x200.jpg :  Gibt es diese Haltung auch im Gespräch bei den psychiatrischen Fachkräften?
    Fachlich gefordert ist sicher eine interessierte Arbeitshaltung gegenüber den subjektiven Wahrnehmungen der Patienten. Aber das kann auch nur unbeteiligte, leicht gelangweilte Sympathie bedeuten. Und es liegt nahe, dass Mitarbeiter die Öffnung für neue und andere Erlebnisse ihrer Klienten tunlichst vermeiden, da ihr Job darin besteht, so etwas als unerwünschte Abweichung zu verhindern. Faszination an neuen interessanten Blicken auf die Wirklichkeit verflüchtigt sich schon deshalb, weil solche Phänomene in der Regel mit mehr Arbeit für Mitarbeiter und nicht selten mit einem ihnen zugeschriebenem Scheitern an der allseits geforderten Normalisierungsaufgabe verbunden sind.
    An dem Gebrauch des Begriffs “Durchlässigkeit” wird in unserem Vergrößerungsglas der Unterschied zwischen den beiden Disziplinen besonders deutlich. Von dem Künstler Tsangaris, in dem kurzen Gedankenaustausch per E-Mail (s.o.) eher positiv bewertet und zur Verhinderung von Verfestigungen wünschenswert, fürchtet EREPRO ein Zuviel davon bei psychotischen Zuständen.

  1. Jetzt zeigt sich ein wesentliches Kennzeichen des Metabolischen Büros in Bezug auf    die Wirklichkeit: es finden sich dort keinerlei Tendenzen, die Wirklichkeit bestimmter     “Subjekte” zu bevorzugen oder abzulehnen. Im Gegenteil, man variiert sie und verschafft sich dadurch neue Erlebnisse. Dementsprechend sind für diese Kunst alle subjektiven Wirklichkeiten gleichwertige Ausprägungen der einen Wirklichkeit.
    http://www.conet.de/C1257822003AF551/CurrentBaseLink/W28FEFDX052CCHEDE/%24FILE/Web-Lupe-300x200.jpg : Die Psychiatrie dagegen behauptet die Nicht-Gültigkeit der Wahrnehmung einiger Menschen. Das wird in der Regel mit dem Vorkommen definierter Merkmale begründet: zum Beispiel stehen neben dem “Wahn”, Selbstbezogenheit4, Affektverflachung, Antriebsminderung, Gedanken laut werden, Negativismus, Stupor, Erregung, Haltungsstereotypien, Gedankenabreißen oder -einschiebungen in den Gedankenfluss auf dem Index5. So wird die Wahrnehmungswirklichkeit eben der Personen abgelehnt, die ohnehin Probleme im Umgang mit ihren Mitmenschen haben. Und ihnen werden die wenigen Gelegenheiten genommen, ihre Wahrnehmungen durch mitteilende Interaktion mit Anderen zu stabilisieren. Sie haben auch kaum Gelegenheit für ein “wohltuendes Verstehen der Wirklichkeit”. Das muss bei diesen sozial Abgelehnten einen großen Schwindel (Taumel) auslösen, verbunden mit Angst und Unsicherheit. Wie inhuman ist dieses Vorgehen eigentlich?

Diese Notizen aus einem Workshop des “Metabolischen Büros zur Reparatur der Wirklichkeit” haben uns mehr als deutlich gezeigt, dass das Denken und Vorgehen der Künstler, die an dem Prozess der Entstehung eines Kunstwerks arbeiteten, ganz anders, und ungewohnt ist für Mitarbeiter in der Psychiatrie. Wir ertappen uns dabei, im Denken unbeweglicher zu sein und zur (undurchlässigen) definierten Eindeutigkeit zu neigen. Fest umrissene klare, strukturierte Vorstellungen haben anscheinend auf uns eine beruhigende Wirkung. So (nur?) können wir uns dem Chaos stellen, mit dem wir es bei Gelegenheit in der Psychiatrie zu tun haben. Getoppt wird diese Haltung noch von einem unausgesprochenen Nützlichkeitsdenken, das echter Ergebnisoffenheit entgegen stehen kann.
Wie sollen wir in der Psychiatrie Menschen auf die Sprünge helfen, die sich hoffnungslos in die Zwänge ihrer Lebenswelt verkeilt haben, wenn wir selber ziemlich festgefahren leben? Können wir ihnen ein freieres Leben vermitteln, ohne dass sie eine gewisse Freiheit bei uns erleben?

Die Teilnahme an diesem Künstlerworkshop war eine seltene Gelegenheit über unseren Tellerrand hinauszuschauen. Kunst und Psychiatrie  bemühen sich beide um die Darstellung und das Verständnis des Lebens in seinen verschiedenen Ausprägungen, und unterliegen damit beide der Gefahr von Machtausübung und Manipulation. Darum ist die Frage nach Reparatur- und Korrekturbedarf für beide wichtig, und sollte nicht ausgeklammert werden.

Wir haben erkannt
1. Dem psychiatrischen Gespräch würde weniger Vereinnahmung von “vorhandener Vielfalt”  gut tun. Die Beachtung von Subjektivität des hilfesuchenden Gesprächspartners bietet Ausblicke auf neue, faszinierende Aspekte der Wirklichkeit. Mut und Interesse an Neuem sind dabei förderlich, ebenso ein “Verbergen des didaktischen Zeigefingers zu gunsten des Spielerischen”. Die persönliche Situation des Therapeuten wird seine Wahrnehmung bestimmen, darum wird er nicht von seiner Objektivität und Neutralität ausgehen. Der Irrtum einer derartigen Annahme birgt Gefahren und kann dazu verleiten eigene Werte und Lebensauffassungen zur Norm zu erheben, und den Gesprächspartner daran anpassen zu wollen. Relativieren von Wahrnehmung ist daher heilsam für Psychiatriemitarbeiter.

2. Zulassen und unvoreingenommenes Akzeptieren verschiedener, vielfältiger Erscheinungen wird damit leichter möglich. Eine gute Gelegenheit bietet sich, indem dem Gesprächspartner viel Zeit zum Erzählen eingeräumt wird. “Zielführende” Bestimmtheit relativiert und verflüchtigt sich dabei, und kreative Kommunikation zwischen zwei Menschen kann entstehen.
Das Wissen um eine Welt (und in diesem Sinne eine Wirklichkeit) für alle Menschen – Männer und Frauen (entsprechend dem philosophischen Axiom des französischen Philosophen Alain Bardiou) ist Voraussetzung für echte Wahrnehmungsoffenheit.

3. Stille und Rückzugsmöglichkeiten für Hilfesuchende werden im therapeutischen Gespräch den ganz persönlichen Bewältigungs- und Verdauungsprozess des Klienten erst ermöglich und dürfen darum nicht zu kurz kommen. Auch wenn das psychiatrische Gespräch unter großen Belastungen steht durch Problemdruck, Zeitdruck, Leistungs- sowie Ergebnis- und Normalisierungdruck. Es ist gut, wenn wir darauf immer mal wieder mit der Nase gestoßen werden.

Es ging hier um die Reparatur der Wirklichkeit von Kunst, um “Neudefinition von Beziehungen zwischen Betrachter und Welt, von Wahrnehmung und Wissen, von Ohnmacht und Verantwortung”,  und darum, das psychotherapeutisch-psychiatrische Gespräch gleichermaßen wie das Kunstwerk unter die Lupe zu nehmen.
Mitarbeiter in der Psychiatrie sind keine Künstler. Das beweist schon dieser Text. Aber es macht Spass bei den Anderen mal reinzuspitzeln. Und das Metabolische Büro von Manos Tsangaris bot uns viele Anregungen.
In der Ankündigung eines weiteren Workshops heißt es: “Es geht auch um die Reflexionspotenziale, die dabei erfahrbar werden. Dies alles deutet auf einen kreativen Prozess, der ins Offene, Unvordenkliche oder Unsichtbare mündet. Und der – so die Ausgangsthese des Projekts – einen „Schwindel der Wirklichkeit“ erzeugt, um aus eingefahrenen Gleisen des (nicht nur) künstlerischen Tuns herauszuführen.”
Ch. Kruse

 

Anmerkungen
1 http://www.worldcat.org/title/felix-droese-die-welt-hinter-der-welt-der-grafenberg-197172-der-container-hamburg-zuerich-vorwaerts-6121985-kunstmuseum-dusseldorf-8-april-bis-20-mai-1990/oclc/715194769?ht=edition&referer=di#reviews.

2 http://www.kolumba.de/?language=ger&cat_select=1&category=1&artikle=582

3 http://www.schwindelderwirklichkeit.de/Ausstellung/

4 http://de.wikipedia.org/wiki/Paranoide_Pers%C3%B6nlichkeitsst%C3%B6rung

5 https://www.dgppn.de/fileadmin/user_upload/_medien/download/pdf/kurzversion-leitlinien/s3-praxisleitlinien-bd1-schizophrenie.pdf

Stationärer Maßregelvollzug: anders ist besser!

Hans ist ein warmherziger Mann von 30 Jahren. Er hat eine blühende Phantasie und ist kreativ. Er war jahrelang in einer psychiatrische Klinik untergebracht, nachdem er auffällig geworden war, weil er – in dem Wahn fliegen zu können – vor hatte vom Rathausturm zu springen. Daraufhin folgte die Zwangseinweisung in eine psychiatrische Klinik .
Er hatte keine Angehörigen, die sich um ihn kümmerten. Seine Mutter war kurz nach seiner Geburt verschwunden, der Vater interessierte sich nicht für den lästigen Sohn und die Großmutter, bei der er aufgewachsen war, gestorben.
So wurde er in der Klinik praktisch vergessen und blieb sehr lange.

Bei den regelmäßigen Besuchen des Sozialpsychiatrischen Dienstes in der 60 km von unserem Ort entfernten Klinik lernten wir ihn kennen. Es gelang uns ihn aus der Klinik zu holen. Er lebte dann in einem Raum auf einem verlassenen Fabrikgelände, den sein reicher Vater ihm zur Verfügung stellte. Eine Angestellte war beauftragt, sich um technische Dinge in der Wohnung zu kümmern. Dort konnte Hans laut Musik hören. Es gefiel ihm.
Hans kam täglich in unseren Begegnungsraum, wo er bis heute gut integriert ist und Freunde hat. Alle ein bis zwei Wochen führte er Gespräche mit einer Psychologin. Wir hörten fasziniert seinen fantastischen Geschichten über Gott, Goethe, Jesus, Allah und viele Themen des Bildungsrepertoires zu, das er sich angeeignet hatte.
Zwischendurch versuchten wir seine Größenideen im einzelnen etwas zu relativieren. Mit Humor akzeptierte er unsere Bemühungen. Er hatte einen ziemlich wilden Tanz erfunden,  den er mit seiner Freundin, einer Klientin von uns, und mit ehrenamtlichen Mitarbeitern des Sozialpsychiatrischen Dienstes übte. Mit dieser Freundin praktizierte er zeitweilig sadomaso Spiele. Wenn er ihre Wünsche bzw. Nicht-Wünsche nicht  ausreichend beachtete, teilte sie das ihrer Ansprechpartnerin in unserem Dienst mit, und die Mitarbeiterin, die mit Hans Gespräche führte, stellte ihn zur Rede. Über diese Korrekturmöglichkeit lief nichts aus dem Ruder.
Zu allen, die er im Sozialpsychiatrischen Dienst kannte, bestand eine stabile Vertrauensbeziehung und Kontakt auf gleicher Augenhöhe, was ihm sehr wichtig war.
Dass er regelmäßig Cannabis konsumierte, war uns natürlich ein Dorn im Auge. Aber er war nicht von der Befürchtung abzubringen, ohne eine kleine Dosis Haschisch seine atemberaubende Phantasie einzubüßen, die ihm so viel Bewunderung einbrachte.1 Neuroleptika verweigerte er aus dem gleichen Grund: er fühlte sich zu gedämpft – mit dieser Klage stand er natürlich nicht alleine.
Bei der engen Vernetzung innerhalb des Sozialpsychiatrischen Dienstes erfuhren wir es sofort, wenn sich Probleme anbahnten und konnten darauf eingehen. Klinikaufenthalte waren nicht mehr nötig. Unter diesen Umständen waren wir im Laufe der Zeit in der Lage sein Verhalten ziemlich verlässlich zu taxieren.

Eines Tages „zupfte er zum Spaß” – wie er sagte – eines der beiden vor ihm laufenden Mädchen am langen Zopf. Er wurde angezeigt, und wegen seiner Psychiatrieakte erhielt der Klinikdirektor unserer Stadt, der ihn gar nicht kannte, einen Gutachtenauftrag. Verhängnisvoll war es vielleicht für Hans, dass seine Freundin mehrfach in der städtischen Klinik behandelt wurde, und dort wahrscheinlich ebenso mitteilungsfreudig über ihr Sexualleben mit ihm berichtete wie im Sozialpsychiatrischen Dienst.
Wir nahmen mit dem Gutachter Kontakt auf, berichteten über unsere engmaschige Betreuung und teilten ihm mit, dass wir einen unbegrenzten Aufenthalt in der stationären Psychiatrie (Maßregelvollzug)  „zur Besserung“ für überzogen hielten, sondern der normale Strafvollzug angemessen sei, da Hans “einsichtsfähig“ bedaure, gegenüber dem Mädchen zu weit gegangen zu sein .
Der Gutachter hatte keinerlei Interesse an einem Gedankenaustausch mit uns und verwies Hans als “gefährlich” aber schuldunfähig in den Maßregelvollzug, wo er jahrelang blieb.
Bis er den offiziellen „Lockerungs-Stufenplan“ dieser Klinik, zur „Erprobung der Behandlungsfortschritte“ durchlaufen hatte, anders gesagt bis zum Beweis rückhaltloser Anpassungsbereitschaft und –fähigkeit. Laut seinem rechtlichen Betreuer gelang ihm das in dem üblichen Zeitrahmen.2
Hans war verzweifelt darüber, in der Forensik – weit weg von seinen Freunden – für unbegrenzte Zeit eingesperrt zu sein. Besuche waren – besonders zu Beginn – sogar für uns Mitarbeiter schwer möglich, auch wegen großer bürokratischer Hürden.
Schließlich war er wieder da, und es hatte keine Probleme mit der diagnostizierten „Gewalttätigkeit“ gegeben – weder in der Forensik noch später im Sozialpsychiatrischen Dienst  – bis heute.

Unsere Art sozialpsychiatrischer Betreuung – mit Schwerpunkt „Prävention“ – integriert Menschen mit psychischen Belastungen in eine Gemeinschaft, die sie hält und bei Problemen unterstützt.
So konnten mehrere, wegen Gewalttätigkeit in psychiatrischen Kliniken Eingesperrte, nachdem wir sie bei Klinikbesuchen kennengelernt hatten, auf diese Weise ambulant betreut werden, ohne dass sie wieder gewaltätig wurden.
Bei einigen war es zu Beginn nötig in mühsamer Kleinarbeit den Tagesablauf und die zwischenmenschlichen Erlebnisse genau im Einzelnen zu besprechen, um weniger impulsive Reaktionen zu „programmieren“ und zu üben.
Die Motivation, „es zu schaffen“ und in Freiheit zu bleiben, war in der Regel groß, auch weil man den Bekanntenkreis, die Gruppe in dem Sozialpsychiatrischen Dienst nicht missen wollte.
In einem Fall konnte der Dienst eine Frau aufnehmen, die einen Menschen getötet hatte. 
Erfahrung liegt weiterhin vor mit sog. kleptomanen Straftätern. Die Pflichtteilnahme an einer  „Selbsthilfegruppe“ unter psychologischer Leitung wurde von den Richtern in einer ganzen Reihe von Fällen als Strafe verhängt. Das erwies sich als sehr sinnvoll.3
Kommunikation und sozialer Integration sind auch für Persönlichkeiten, die zu Psychosen neigen, enorm wichtig. Es sei fast nicht möglich – wird immer wieder behauptet – diesen Menschen zu befriedigenden und dauerhaften Beziehungen zu verhelfen. Wir haben andere Erfahrungen.
Denn die Sozialpsychiatrie verfügt über entsprechende soziale Strukturen und fachliches Know-how. Seit vielen Jahren werden Menschen mit psychotischen Erfahrungen regelmäßige Gesprächsgruppen angeboten. Dadurch sind unter den Teilnehmern viele Freundschaften entstanden.4 Dass diese Menschen jemanden finden, der sich interessiert und ihnen zuhört, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden, und ist in vielen Fällen entscheidend für den Verlauf ihres Lebens. Denn Isolation und das fehlende Korrektiv einer Gruppe befördern erfahrungsgemäß die Fehlsteuerung von Menschen, bei denen sich ein Wahnsystem entwickelt. Wenn in einer Beratungsstelle ein vertrauensvoller, stabiler Kontakt besteht, ist Fremd- und Selbstgefährdung in der Regel im Griff zu behalten.
Einem Straffälligen, dem 38-jährigen „Peter J.“, über den Gisela Friedrichsen im Spiegel berichtete, wünschte sein Verteidiger ein „therapeutisches Setting“, in dem „ein Dialog mit ihm möglich gewesen wäre.“ Der Suzid dieses Mannes, der mit einer Bombe ein „Zeichen setzen“ wollte, “damit sich endlich jemand mit ihm beschäftige”5 hätte dadurch vielleicht verhindert werden können. 
Achtet man einmal darauf, so kann man Medienberichten häufig entnehmen, dass durch Gewalttaten straffällig gewordene Menschen mit großen psychischen Beschwernissen sehr isoliert lebten und demzufolge nirgends Zuwendung und Gehör fanden.

Wenn auch die Angebote Sozialpsychiatrischer Dienste ab und zu von den Gerichten in Anspruch genommen werden, so könnte das viel häufiger geschehen, um die bekannten negativen Begleiterscheinungen des stationären Maßregelvollzugs zu vermeiden.
Dieser kann zwar unter Auflagen zur Bewährung ausgesetzt oder „gelockert“ werden. Der Betroffene hat dann einen rechtlichen Betreuer oder einen Bewährungshelfer.6 Auch die vielfach schon an Maßregelvollzugs-Kliniken angebundenen Forensischen Ambulanzen leisten eine wichtige Arbeit. Sie übernehmen ebenfalls die Betreuung bei „Lockerungen“7 des Maßregelvollzugs und später die Nachsorge nach der Entlassung. Sie können leichter als andere ambulante Einrichtungen in schweren Krisen des Klienten durch „befristete Wiederinvollzugsetzung“ eine erneute stationäre Behandlung in der Forensischen Klinik veranlassen.

Trotzdem halten wir eine enge Kooperation forensischer Kliniken und Ambulanzen mit den Sozialpsychiatrischen Diensten für angesagt, weil diesen die Integration des Straffälligen in die „Gemeinde“, in frühere Bezugssysteme und Bekanntenkreise besser gelingt. Zu wissen, dass man dort zurück erwartet wird, stellt einen Ansporn dar. Und diese Re-Integration schützt vor Hospitalisierung. Es kommt nämlich gar nicht selten vor, dass nach Abschluss des Maßregelvollzugs aus Routine Heimeinweisungen vorgenommen werden,8 und die Klienten so immer noch nicht ihre Freiheit zurück gewinnen.
Integrationsfähigkeit oder „Gefährlichkeit“ von Menschen mit großen psychischen Problemen sind verläßlicher einzuschätzen bei vielfältigen konkreten Erfahrungen im Umgang, wie sie in Sozialpsychiatrischen Diensten üblich sind. Wenn die zu Beurteilenden ausgiebig an den Angeboten teilgenommen haben, könnte dieses Wissen im Fall einer Straftat zur Entscheidung über ihre „Schuldfähigkeit“ heran gezogen werden und ausschlaggebend sein.

Die in der Regel praktizierte Begutachtung ist nämlich ein zweischneidiges Schwert.
Die Spiegel-Journalistin Gisela Friedrichsen schildert, wie Straftäter, die als psychisch krank gelten, von dem Gutachter Hans-Ludwig Kröber, Chef der Forensik der Berliner Charité, ohne den nötigen Respekt, der jedem Menschen zukommt, mit pseudowissenschaftlichen  Begriffen wie ” dissozial” beziehungsweise den unwissenschaftlichen Alltagsbegriffen “egozentrisch” und “dickfällig” bezeichnet werden. Das disqualifiziert diesen Gutachter10, von einem psychologischen Verständnis für die Verhaltensweisen der Probanden – gewonnen durch vertrauensvolle Gespräche – gar nicht zu reden.
Das Bemühen um eine zusammenhängende Charakterisierung anstelle solcher klischeehafter Etikettierungen ist doch eine Selbstverständlichkeit menschenwürdiger Behandlung bzw. Begutachtung. Kann man bei einer solchen Begrifflichkeit nicht sogar von einer Missachtung des Gerichtes durch den Gutachter reden?
Der Proband im Artikel von Friedrichsen fand nicht nur keine hilfreichen Gespräche , sondern alle seine Forderungen – nach einem zweiten Gutachter in seinem Prozess, und nach einem neuen Verteidiger für die Wiederaufnahme – wurden ihm von zwei Gerichten verweigert. Man muss sich nicht wundern, dass dieser Mann, der sich für unschuldig hielt, verzweifelte und im Gefängnis schreckliche Tobsuchtsanfälle bekam. Und das möglicherweise bei einem Grundgefühl existenzieller Bedrohtheit – wie oft bei Menschen mit psychotischen Störungen.
Die Diagnose „Psychose“ hatte der Gutachter Kröber zwar auch gestellt. Solche menschlich verständlichen Reaktionen – wie das Toben des Peter J. – werden  aber ohne das Bemühen um einen Verständniszusammenhang von Sachverständigen gerne als „Charakterfehler“ missverstanden, mit der Konsequenz: die psychischen Belastungen finden möglicherweise nicht genügend Beachtung und man wird der persönlichen Situation des Angeklagten nicht gerecht.
Friedrichsen zitiert einen weiteren Gutachter des Peter J., der angemessener formulierte: “Die scheinbare Rücksichtslosigkeit in der Durchsetzung der Ideen und die Vernachlässigung berechtigter Anliegen anderer gehören ebenso zu dieser Störung wie das überstarke Misstrauen, die oft situationsunangemessene Neigung zum Beharren auf eigenen Ansichten oder Rechten, die soziale Isolierung und die permanenten Probleme, befriedigende Beziehungen aufzubauen oder aufrechtzuerhalten.”9
Das Bemühen, Verhalten von straffällig gewordenen Menschen in Zusammenhänge zu stellen, muss übrigens nicht automatisch – wie von vielen Bürgern befürchtet – “mildernde Umstände” für den Straftäter bedeuten! Sie sollten aber in die Überlegungen bei der Urteilsfindung des Gerichtes eingehen und gewichtet werden.

Idealerweise – übrigens – ohne diese radikale Unterscheidung von „schuldfähigen“ oder „nicht schuldfähigen“ Angeklagten.
Grundsätzlich sollten wir die Zweigliedrigkeit unseres Strafverfahrens11, das von den Nationalsozialisten 1933 in Deutschland eingeführt wurde, in Frage stellen. Zweigliedrigkeit heißt, das Strafgericht beschließt einerseits Strafen mit zeitlicher Begrenzung für „Tatschuld“, oder andererseits Zwangsunterbringungen in einer psychiatrischen, forensichen Klinik ohne zeitliche Begrenzung als „Besserung“ für kranke und behinderte Menschen, deren „Schuldunfähigkeit“ psychiatrische Gutachter bestimmt haben.
Maßregelvollzug in dieser Form brauchen wir u.E. nicht: ein Strafverfahren genügt, dem alle Bürger, die gegen Gesetze verstoßen, unterliegen – unter jeweiliger Berücksichtigung besonderer Belastungen und unter Einsatz der vielen verschiedenen Hilfsmöglichkeiten im nicht-stationären Bereich.
Das würde weniger Ungerechtigkeit mit sich bringen.

Anmerkungen
Dieser Artikel bezieht sich nicht auf Suchtpatienten, für die der Maßregelvollzug anders geregelt ist. (§64 StGB)

   Marihuana macht kreativ, und das ist der Beweis – http://huff.to/WGfP16 (mit einem Augenzwinkern!)
2    Genauere Schilderung dieses Verfahrens in der SZ vom 26.8.2014, „Der Straftäter als        Patient.“
Zitat: „Grundsätzlich gibt es in allen Kliniken in Bayern die gleichen vier    Lockerungstufen A, B, C, und D. Hat ein Patient die Erlaubnis für Stufe A, darf er in Begleitung eines Klinikmitarbeiter die Station verlassen, muss aber innerhalb der Klinikmauern bleiben. Hat er Stufe D erreicht, darf er sogar auswärts übernachten. Will ein Patient von einer zur anderen Stufe wechseln, stellt er einen Antrag. Daraufhin treffen sich alle Therapeuten, Pfleger und Ärzte, die den Patienten behandeln, und diskutieren über seinen Wunsch. Die Entscheidung liegt letztendlich beim Leiter der Maßregelvollzugsanstalt. Kommt es zu einem Wechsel in eine neue Hauptstufe, wird auch die Staatsanwaltschaft gefragt.

Wie die Kliniken entscheiden, wer welche Lockerung erhält, ist ihnen selbst überlassen, funktioniert aber überall ähnlich: Diskutiert wird anhand einer von der Klinik selbst erstellten Checkliste. ‚Grundlage für diese Entscheidung ist eine Prognose’, sagt Michael Wertmüller von der Ansbacher Forensik. Ob der Patient ein Sicherheitsrisiko darstellt, wird ausgehend von verschiedenen Punkten ermittelt: dem Ausgangs Delikt, dem Lebenslauf des Patienten bis hin zur Tat, der Entwicklung danach und den sozialen Umständen, die den Patienten außerhalb der Klinik erwarten.“
3.
zur Charakterisierung dieser Gruppe s. „Wir wollen das Ruder herumreißen“ in hilfe Blätter von EREPRO Nr. 12, 2007
4
. Information über die Arbeit der ambulanten Sozialpsychiatrie bieten die hilfe  Blätter von EREPRO: http://www.erepro.de/hilfe-blatter-von-erepro/liste-der-hilfe-blatter-von-erepro/  u.a. über sog. Psychosegruppen. (abgerufen 15.8.14)
5.
Spiegel 30/2014 S. 46/47
6.
s. Bündnis 90/Die Grünen, Kurzgutachten zum Maßregelvollzug von Dr. Rolf Marschner.
Marschner berichtet, dass Aufgaben des Maßregelvollzugs in Bayern nicht auf private Einrichtungen übertragen werden können, und fordert eine gesetzliche Regelung für freie Träger. S.24 u. 28.
Die Sozialpsychiatrischen Dienste in Bayern (fast alle in Trägerschaft der Wohlfahrtsverbände) werden – ebenso wie die Forensik-Kliniken – von den Bayerischen Bezirken, einer kommunalen Körperschaft, finanziert.
7.
s. Anmerkung 2
8.
Marschner, a.a.O. S. 30
9.
Spiegel, a.a.O.
10.
Der Verteidiger von Gustl Mollath, Gerhard Strate, belegt auf seiner Homepage anhand einer von Kröber verfassten Glosse in einer forensischen Zeitschrift sehr detailliert, wie die ungenaue Darstellung von Kröber „die Wahrheit verfälscht“.
http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Anmerkung-der-Verteidigung-2013-11-16.pdf (abgerufen am 7.8.14)
11. s. Wikipedia Stichwort Maßregelvollzug. http://de.wikipedia.org/wiki/Ma%C3%9Fregelvollzug#Geschichtliche_Hintergr.C3.BCnde (abgerufen am 10.8.14)


Mehr zu diesem Thema
Fachforum:
Psychiatrische Gutachten unter dubiosen Umständen Ch. Kruse, 18.8.2014

Psychiatrische Gutachten – unter dubiosen Umständen

Kaum hat er ein paar seiner harmlos klingenden Fragen gestellt, kommen sich die Befragten so vor, als könne er ihnen auf den Grund ihrer Seele sehen.“1 So zu lesen in der Süddeutschen Zeitung. Es geht um den Forensik-Professor Nedopil. Er selber würde sich einer solchen Untersuchungsprozedur, wie er selber sie als Psychiatrie-Gutachter durchführt, nicht stellen, sagt er, sondern “wenn ich etwas getan habe, dann stehe ich dazu und muss mich in die Hände des Gerichts begeben”. “Aber ich muss nicht auch noch meine Seele vor denen entblättern.”2

Es wundert uns dann doch, dass Nedopil so wenig Verständnis für Herrn Mollath zeigt, der – genau wie er selbst – Begutachtung ablehnt. Warum sagt er dem Gericht im Fall Mollath nicht, aus Respekt vor der einleuchtenden Weigerung Mollaths, dass die Begutachtung unter diesen Umständen nicht möglich ist? Die „Umstände“: Untersuchungs- Gespräche fanden nicht statt.
Warum führt Nedopil eine Begutachtung dennoch unter ganz windigen Bedingungen durch?
„Ob Mollath unter einer wahnhaften Störung litt, konnte der Experte aber nicht bestimmen. Das könne er nur in einem Untersuchungsgespräch feststellen, dem sich Mollath verweigert habe. Trotzdem müsse eine wahnhafte Störung zumindest für die Zeit des Konflikts zwischen Mollath und seiner Frau 2001/2002 ernsthaft erwogen werden”.3
Bringt er nicht mit solchen Spekulationen die ganze Fachdisziplin in Verruf? Wie will er einen vorübergehenden Zustand für einen weit zurück liegenden Zeitpunkt  „wissenschaftlich“ korrekt, also nachvollziehbar feststellen – allein aus den Akten?
„Wenn wegen unzulänglicher Aktenlage ohne Exploration ein Gutachten lege artis nicht zu erstatten ist, dann muss ein Sachverständiger, der die Qualitätsstandards seines Fachs nicht unterschreiten will, dies dem Gericht mitteilen und den Auftrag ablehnen. Selbstverständlich wird er dann von dem Auftrag entbunden“, heißt es auf der Homepage des Verteidigers von Herrn Mollath, Gerhard Strate.4

Grundsätzlich, meint Nedopil in seinem sogenannten Gutachten, Mollath habe „…keinerlei wahnhafte Handlungen gezeigt. Demnach sei Mollath auch voll schuldfähig, die Bewertung obliege jedoch dem Gericht.“5
Nach dieser – wie es aussieht – wenig fundierten Aussage kommt es noch schlimmer.
In des Gutachters persönlicher Beurteilung entsteht ein Bild von Mollath als nicht krank, sondern eher als das, was man einen „schlechten Charakter“ nennen würde. In der Süddeutschen Zeitung lesen wir: „Den Angeklagten schätzt er als kompromisslos, penetrant, rigide und misstrauisch ein. Und er sieht Zeichen von mangelnder Flexibilität, Rechthaberei und Selbstüberschätzung. Letztere scheine bei manchen Aussagen durch, etwa wenn Mollath vom ‚größten Schwarzgeldskandal aller Zeiten’ spreche.“6

Basis dieser „Erkenntnisse“ sind Nedopils Beobachtungen während der Verhandlung. Dabei hat er Mollaths Verweigerung der Begutachtung  wohl entsprechend negativ interpretiert. Obwohl es tatsächlich einen Bankenskandal gab, wie Mollath von Anfang an richtig erkannte, legt er ihm seine Formulierung darüber als „Selbstüberschätzung“ und „Rechthaberei“ aus. Genau das wollte Mollath wohl verhindern, als er beantragte Nedopil von der Verhandlung auszuschließen, was die Richterin ablehnte.
Dazu muss man wissen, dass die psychiatrischen Gutachter den Richtern sogar offiziell die Beobachtung eines Angeklagten während der Verhandlung, die dem Gericht Hinweise zur Urteilsfindung gibt, abnehmen können. „’Der Sachverständige stellt Augen und Ohren des Richters dar. Dort, wo das Wissen des Richters versagt, schaut er durch die Augen des Sachverständigen. Doch wie uns unsere Augen manchmal täuschen, täuschen uns die geliehenen Augen.’“ „Das ist fatal,“7 sagt der Präsident des Oberlandesgerichts Wien a.D. Harald Krammer.8

Der „gutmütig, fast väterlich9 wirkende Herr Nedopil äußerte sich – wie man sieht – keineswegs wohlwollend über Mollath. Unserer Meinung nach zeigt er demnach nicht die nötige Achtung, die auch potentiellen Straftätern zukommt. Wissenschaftlich korrekt können diese „Beobachtungen“ ohnehin nicht sein. Von „zynisch“ wie der Professor Kröber im Spiegel10 bezeichnet wurde, wollen wir nicht reden. 

Nedopil ist nun schon der zweite Hochschullehrer für Psychiatrie, der zu  weitreichenden, schwer nachvollziehbaren Urteilen über Mollath kommt.
Zuvor diagnostizierte der Kollege Professor Kröber von der Charité Berlin das Gegenteil. Er stellte 2008 „eindeutig eine wahnhafte Störung“11 bei Mollath fest –  ebenfalls destilliert aus Akten. Dass diese Beurteilung für Herrn Mollath schreckliche Folgen hatte, ist bekannt.
Obwohl Nedopil sich bei seinen Ausführungen vor Gericht bemüht hatte, die Gutachter-Kollegen nicht in einem schlechten Licht erscheinen zu lassen, wächst die öffentliche Kritik an Kröber.
Schon Mollaths Rechtsanwalt Strate warf ihm „Realitätsverlust“ vor.12
Er dokumentiert anhand einer Glosse, geschrieben von Professor Kröber in der Zeitschrift “Forensische Psychiatrie,  Psychologie, Kriminologie”13 zum Thema “Aktengutachten” akribisch dessen nachlässige Arbeit anhand von Ungenauigkeiten im Text. Damit liefert er eine handfeste Grundlage für die Vorwürfe gegenüber diesem Gutachter.14
Kröber selbst stellt dort auch die Frage ob “Anstand und Berufsehre geboten hätten, eine Gutachtenerstattung zu verweigern?” (weil Herr Mollath sich nicht untersuchen ließ) “Keineswegs” – antwortet er sich selbst.

Gisela Friedrichsen hat vor kurzem im Spiegel15 einen kritischen Artikel verfasst unter dem Titel „Der Psychiater als Richter“ und meint, dem Herrn Körber “blase zur Zeit der Wind ins Gesicht”.
Sie prangert auch den unhaltbaren Zustand an, dass die Richter „manchmal einfach aus Bequemlichkeit oder Gewohnheit auf einen bestimmten Gutachter (setzen), weil sie ihn schon lange kennen, oder weil sie gute Erfahrungen mit ihm gemacht haben. Oder sie lassen sich von dem Nimbus dessen beeindrucken, der eigentlich nur Gehilfe des Gerichts sein sollte. Leicht gerät der Gutachter, auch der Psychiater, dann in die Rolle des Richters.“16

Nedopil machte sogar das „Zugeständnis“, die Bewertung der von ihm attestierten Schuldunfähigkeit Mollaths obliege dem Gericht. Was eigentlich völlig selbstverständlich ist.
„Offiziell entscheidet sich der Richter (Letztentscheidungsbefugnis) nach einer Prüfung des Gutachtens auf Plausibilität (sic!) und abhängig von der Schwere der Schuld für eine Verurteilung zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus.“17
Im Laufe der Zeit hat sich die Praxis umgekehrt: die „Gehilfen“, sachverständige Psychiater, sprechen jetzt praktisch das Urteil, weil Richter deren Meinung ohne weiteres übernehmen.
War es je anders? In Jahrzehnten sozialpsychiatrischer Arbeit ist uns nur einmal ein Richter an einem Betreuungsgericht begegnet, der sich so weit in die Psychiatrie eingearbeitet  hatte, dass er nicht blind der Meinung der psychiatrischen Gutachter folgte, sondern sich eine eigene Meinung bildete.
Die mangelnde Transparenz psychiatrischer Theorie und Praxis kommt als Ursache dieses Missstandes infrage. Daher die Unverständlichkeit der Gutachten und die Vorstellung von einer Art „Geheimwissenschaft Psychiatrie“, an die sich Außenstehende gar nicht heranwagen. Damit kann der enorme Machtzuwachs der Psychiater-Gilde auch zusammenhängen.

Die Attitüde der Allwissenheit und Grandiosität tut ein Weiteres: Erkenntnisfragen werden kaum gestellt und Grenzen der Erkenntnismöglichkeiten selten eingeräumt.
Der Austausch mit Kollegen, die den begutachteten „Probanden“ besser kennen, wird nur in wenigen Fällen gesucht. Das haben wir erlebt: der jeweilige Gutachter zog es vor, seine Erkenntnisse nur aus einem einzigen Gespräch – oder im besten Fall aus mehreren – zu gewinnen18. Auch hier könnten Richter genauer hinschauen.19
Unter dem Mantel der Allwissenheit der Gutachter verbirgt sich auch ihre nur zu verständliche Angst, man könnte falsch vorausgesagt haben, und es passiere etwas Schreckliches.
„Auch seien psychiatrische Gutachter aus Haftungsgründen immer weniger bereit, ein Risiko einzugehen und im Zweifel werde daher eine hohe Gefährlichkeit prognostiziert. Die Anzahl der Personen, die gerichtlich in die Psychiatrie eingewiesen worden sind, habe sich in den letzten zwanzig Jahren mehr als verdoppelt, dies liege auch an der gestiegenen Sicherheitserwartung der Gesellschaft. Die Justiz gebe immer häufiger einem öffentlichen Druck nach, der von ihr die rasche Entsorgung von Gefahrenquellen erwartet’.“20
Diese Angst und Unsicherheit kennt jede Fachkraft in der Psychiatrie.
Übrigens, Herr Nedopil legt auch hier noch Grandiosität an den Tag. In einem Artikel mit dem vielsagenden Titel „Psychiater ohne Angst“ heißt es in der SZ: “ Angst hat Nedopil nicht. Viele Straftäter säßen nur in der Psychiatrie, weil die Ärzte Angst vor den Reaktionen der Öffentlichkeit haben, falls etwas passiert, sagt er”21 – und zeigt auch an dieser Stelle wenig Verständnis, dieses Mal für die Kollegen.

Wenn man nicht immer auf Nummer sicher gehen und denjenigen, dessen mögliches Verhalten man einschätzt, nicht einfach für „krank“ erklären will, muss man sich auf den Betroffenen einlassen, Zeit haben ihm zuzuhören, sein Vertrauen gewinnen und ihn allmählich kennen lernen. Die aufmerksame Beschäftigung des Gutachters mit dem zu begutachtenden  Menschen vermittelt dem Sachverständigen dann gleichzeitig auch mehr Sicherheit.
Und es gibt bekanntlich auch statistisch geprüfte psychologische Testverfahren, die diesen Untersuchungsprozess komprimieren und differenzieren könnten, aber auch dafür bedarf es der Bereitschaft zur Zusammenarbeit bei dem Angeklagten.

Das heute praktizierte Gutachten-Verfahren ist extrem gefährlich für jeden, der das Pech hat zum „Probanden“ zu werden, wofür eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht: immerhin sind es 10.000 Personen, die 2010 in Deutschland in den Maßregelvollzug eingewiesen wurden – ohne gerichtlich zeitliche Begrenzung dieser Strafe.22
Gegen diese Zustände rührt sich eigentlich erst seit der Mollath-Geschichte leise Kritik.
Der Mollath-Verteidiger Gerhard Strate schreibt auf seiner Homepage: “Allein der Korpsgeist jener Psychiater, die allesamt gefehlt haben, verhindert eine Aufarbeitung der fachlich unzulänglichen Gutachten. Auch die Fachgesellschaft vulgo Lobby-Verein DGPPN (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde – d. Verf.) weigert sich, die Gutachten von Leipziger, Kröber und Pfäfflin durch ihre seit Juni 2013 bestehende Expertenkommission evaluieren zu lassen. Was nicht verwundert, schließlich ist Prof. Dr. Kröber Mitglied dieser unabhängigen Expertenkommission.“23
In Wikipedia geht es schon ziemlich heftig zur Sache. Dort wird Der frühere Präsident des Oberlandesgerichts Wien, Harald Krammer zitiert, der von „einer janusgesichtigen Anstaltspsychiatrie“ spricht. „Damit werde einerseits die Frage aufgeworfen, ob die Methoden Erfolg versprechen oder Scharlatanerie sind, und andererseits, ob sie eine gerechte oder einer ungerechte Behandlung darstellen.“24

Die Gutachterin Hanna Ziegert hat sich in der Talkshow bei Beckmann mit Kritik weit vorgewagt. Auch diese Psychiaterin und Psychoanalytikerin sagt: „’Ich weiß nicht, ob ich mich jemals würde begutachten lassen’. Als Begründung führte sie an, dass die Grundvoraussetzung für eine Begutachtung das Vertrauen in den Psychiater sei. (Quelle: nordbayern.de, 16.08.2013) ‘Ich persönlich bin der Meinung, dass ein Gutachten nach Aktenlage oder ein Gutachten in einem Gerichtssaal über 20 m Entfernung einem gynäkologischen Befund von 20 m entspricht. Da würde der Frauenarzt angezeigt werden, wenn er da denn sagt der Befund ist so und so’.“25

“Solche Kritik ist unerwünscht – das erfuhr die Psychiaterin prompt: Mehrmals wurde sie seit Ausstrahlung der Sendung als Gutachterin abgelehnt. Und spätestens jetzt stellt sich die Frage: Wie viel Unabhängigkeit können sich Gerichtsgutachter leisten?”26

Und wie unabhängig sind die Richter dabei?

Da liegt einiges im Argen zum Nachteil der Bürger. Wir sind erleichtert, dass dieser Sack jetzt vorsichtig ein wenig aufgemacht wird, ohne dabei positive Entwicklungen in diesem Bereich ignorieren zu wollen. Zum Beispiel sind wir bei der Arbeit an diesem Artikel auf die Zeitschrift „Forensische Psychiatrie und Psychologie“27 gestoßen, die wir nicht kannten. Es gibt sie seit 2010 und es lohnt sich wohl sie kennen zu lernen.

Die Zweispurigkeit unseres Strafrechtes ist unserer Meinung nach von Übel. Vor nicht einmal 100 Jahren eingeführt, müsste es doch möglich sein, diese Zweiteilung infrage zu stellen angesichts der negativen Wirkungen des Maßregelvollzugs (§ 63 StGB).
„Am 24. November 1933, auf den Tag genau 7 Monate nach der Veröffentlichung der Ermächtigungsgesetze im Reichsgesetzblatt, wurden mit dem Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung (RGBl. Band 1, 995) die Maßregeln der Sicherung und Besserung in das Strafgesetzbuch eingeführt. Die Zweispurigkeit des Strafrechts hat bis heute Bestand.“28

EREPRO hat schon oft darauf hingewiesen, dass jeder Straftäter für sein schuldhaftes Verhalten in einem ordentlichen Strafprozess bestraft werden sollte. Natürlich gibt es Belastungen von psychisch kranken Straffälligen beispielsweise durch psychotische Erkrankungen, die mit einbezogen werden sollten in die Entscheidung des Gerichtes – ohne dass ihnen die “Schuldfähigkeit” völlig abgesprochen wird.29 Und ein Wahn, besonders der paranoide, ist nicht immer leicht zu erkennen. Hier kann es nötig werden, dass der Richter sich mit Fachleuten berät bei der Abwägung seiner Entscheidung über die Art und Höhe der Strafe.
Wenn man es sich richtig überlegt, entspricht es unseren modernen Methoden nicht mehr, Menschen mit besonderen Belastungen, die straffällig wurden, einfach unbegrenzt einzusperren mit dem Ziel ihrer “Besserung”. Wenn “Sicherung” von psychisch kranken Menschen tatsächlich in wenigen Fällen notwendig ist, gibt es die vorübergehende Klinikeinweisung zur Unterbringung, die in den Psychisch Kranken Gesetzen geregelt ist.

Heribert Prantl wird bei Wikipedia zitiert: „Der Fall Mollath ist in der Tat einer, in dem sich die grausamen Schwächen des Paragrafen 63 des Strafgesetzbuches symptomatisch zeigen. Kaum ein anderer Paragraf hat so massive Auswirkungen wie dieser, aber kaum ein anderer Paragraf genießt so wenig Beachtung. Der “63er” ist der Paragraf, der einen Straftäter flugs in die Psychiatrie bringt, aus der er dann gar nicht mehr flugs herauskommt. Dieser § 63 ist ein dunkler Ort des deutschen Strafrechts.“
„Rechtsanwälte sagen, dass es keinen zweiten Bereich in der Justiz gibt, in dem dermaßen viel im Argen liegt. Sie versuchen daher, ihn weiträumig zu umgehen: Früher plädierte ein Verteidiger, um ein günstiges Urteil herauszuholen, auf “vermindert schuldfähig”; dann kann nämlich die Strafe gemildert werden. Heute ist so ein Plädoyer ein schwerer Fehler: Wenn verminderte Schuldfähigkeit oder gar Schuldunfähigkeit attestiert wird, folgt die Einweisung in die Psychiatrie fast automatisch.“30

Die gestiegene “Sicherheitserwartung der Gesellschaft“ von denen Heribert Prantl spricht (s.v.), sollte uns Grund zum Nachdenken geben. Dieser gesellschaftliche Trend ist viel zu wenig Gegenstand von Analysen, Ursachenforschung und Diskussion. Es ist zu einfach, allein die darauf reagierenden psychiatrischen Gutachter verantwortlich zu machen für die daraus folgenden Fehlentwicklungen und Probleme – wie im Maßregelvollzug.

Ein Patentrezept, um Menschen mit schweren psychischen Belastungen gerecht zu werden, gibt es nun mal nicht. “Wir dürfen und müssen die Justiz in die Pflicht nehmen. Das umfasst die Erwartung, dass sie sich kritischen Fragen stellt, dass sie sich mit Menschen mit Behinderungen und mit ihren Fürsprechern auseinandersetzt, dass sie ihre eigene Praxis kritisch reflektiert und sich selbst engagiert, um ihre eigene Kultur da weiter zu entwickeln, wo es dessen bedarf.“31
Ch. Kruse

 

Anmerkungen
(Links abgerufen am 6.8.2014)
1. http://www.sueddeutsche.de/bayern/mollath-gutachter-nedopil-psychiater-ohne-angst-1.2036241
2. a.a.O. Süddeutsche
3. http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=a2&dig=2014%2F07%2F26%2Fa0157&cHash=b5787b7440e72a8ca2e6513bbe705f3c

4.http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Anmerkung-der-Verteidigung-2013-11-16.pdf  S. 6
5. http://www.sueddeutsche.de/bayern/psychiater-nedopil-ueber-mollath-eine-psychische-stoerung-ist-nicht-nachweisbar-1.2062803
6. s. Anm. 5
7. Die Republik der Gerichtsgutachter. In: Die Presse. 12. September 2008.
8. zitiert nach http://de.m.wikipedia.org/wiki/Forensische_Psychiatrie#cite_note-2
9.
http://www.sueddeutsche.de/bayern/mollath-gutachter-nedopil-psychiater-ohne-angst-1.2036241
10. Spiegel 30/2014, S. 46/47
11. http://www.abendzeitung-muenchen.de/inhalt.neuer-prozess-alter-gutachter-fall-peggy-schock-nachricht-fuer-ulvi-k.c2ea9834-3aec-445a-86a1-ba6a596eb168.html
12.
http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Anmerkung-der-Verteidigung-2013-11-16.pdf  S. 10
13. “Forensische Psychiatrie,  Psychologie, Kriminologie”7. Jahrgang, Nr. 4 (2013) unter der Rubrik “Blitzlicht”auf Seite 302
14.
A.a.O. Strate
15. A.a.O. Spiegel
16. A.a.O. Spiegel

17. http://de.wikipedia.org/wiki/Forensische_Psychiatrie
18. s. Bericht auf dieser Homepage www.erepro.de: „Stationärer Maßregelvollzug? Es geht auch anders“ unter „Praxis-Spiegel“ (erscheint in Kürze)
19. s. dazu Christel Salewski und Stefan Stürmer: Gravierende Eingriffe in Lebenswege von Kindern: Gutachten oft mangelhaft. Studie der FernUniversität wertete 116 Gutachten im OLG-Bezirk Hamm aus. Juli 2014
http://www.fernuni-hagen.de/universitaet/aktuelles/2014/07/01-am-rechtspsychologie.shtml
20.  zitiert nach Wikipedia, a.a.O.: Prantl, H. Die Psychiatrie, der dunkle Ort des Rechts Süddeutsche Zeitung vom 27. November 2012
21. s. Anm. 1
22. http://de.wikipedia.org/wiki/Forensische_Psychiatrie
und
http://de.wikipedia.org/wiki/Ma%C3%9Fregelvollzug#Statistik

s. auch Bündnis 90/Die Grünen, Kurzgutachten zum Maßregelvollzug von Dr. Rolf Marschner, S. 26.

“Vom Maßregelvollzug zu unterscheiden ist die Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB für gefährliche Straftäter, die ausschließlich dem Schutz der Öffentlichkeit dient.“ – und nicht der “Besserung”. http://de.wikipedia.org/wiki/Ma%C3%9Fregelvollzug#cite_note-10
23. A.a.O. Strate, S. 11
24
. A.a.O. http://de.m.wikipedia.org/wiki/Forensische_Psychiatrie#cite_note-2
25. Zitate aus “Nachrichten der Grundrechtepartei, Causa Mollath: Die Psychiaterin Frau Dr. Ziegert plaudert bei Beckmann aus dem Nähkästchen. 17.8.2014.” Herausgegeben von der Grundrechtepartei.  http://grundrechteforum.de/227320
26. http://www.br.de/fernsehen/bayerisches-fernsehen/sendungen/kontrovers/gutachten-unabhaengig-sachverstaendige-100.html
27. http://www.psychologie-aktuell.com/index.php?id=63&tx_ttnews[tt_news]=2242&tx_ttnews[backPid]=64&cHash=59ec35e508
28. http://de.wikipedia.org/wiki/Ma%C3%9Fregelvollzug#cite_note-10
29. s. dazu Pierre Legendre: Das Verbrechen des Gefreiten Lortie. Versuch über den Vater. Überarbeitete Übersetzung v. Clemens Pornschlegel (1998)
30. s. Anm. 26 
31. Roland Rosenow, Zum Verhältnis von Gleichheit und Zwang. Vortrag im Rahmen der Fachtagung DPWV/IMEW, Katholische Akademie Berlin, 26.6.2012

 

Ein weiterer Artikel zum Thema
auf der Seite “Psychiatrieleben”:
Stationärer Maßregelvollzug – anders ist besser
. 11.9.2014
Hans ist ein warmherziger Mann von 30 Jahren. Er hat eine blühende Phantasie und ist kreativ. Er war jahrelang in einer psychiatrische Klinik untergebracht, nachdem er auffällig geworden war, weil er – in dem Wahn fliegen zu können – vor hatte vom Rathausturm zu springen. Daraufhin folgte die Zwangseinweisung in eine psychiatrische Klinik .
Er hatte keine Angehörigen, die sich um ihn kümmerten. Seine Mutter war kurz nach seiner Geburt verschwunden, der Vater interessierte sich nicht für den lästigen Sohn und die Großmutter, bei der er aufgewachsen war, gestorben.
So wurde er in der Klinik praktisch vergessen und blieb sehr lange. … weiterlesen

300 000 Menschen mit besonderen Belastungen getötet

Hier sind einige Anmerkungen aus Anlass der Wanderausstellung „erfasst, erfolgt, vernichtet.“ Kranke und behinderte Menschen im Nationalsozialismus, ausgerichet von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). Wurde die Schuld dieser Tötungsaktion gesühnt – auch von den Kirchen, die hilfsbedüftige Menschen in ihren Anstalten zur Zwangssterilisation und Tötung anmeldeten? Wie gedenken wir des schrecklichen Geschehens, um die Erinnerung wachzuhalten? Das Versagen der Verantwortlichen und mögliche Gründe werden angesprochen. Mehr Wissen über diesen Massenmord an psychisch kranken und behinderten Menschen und größere Präsenz des Themas in den Medien könnte die Menschen für neue gefährliche Tendenzen in der Psychiatrie sensibilisieren.

Worum geht es in der Wanderausstellung, die zuerst in Berlin gezeigt wird?

Die Antwort lesen wir am besten auf der Homepage der DGPPN nach:
„Unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Joachim GAUCK präsentiert die DGPPN in Kooperation mit den Stiftungen Denkmal für die ermordeten Juden Europas und Topographie des Terrors eine Wanderausstellung, die NS-Opfer ins Zentrum rückt, die lange am Rande des öffentlichen Interesses und Gedenkens standen.

Bis zu 400.000 Menschen wurden zwischen 1933 und 1945 zwangssterilisiert, mehr als 200.000 wurden ermordet. Bei der Selektion der Patienten wurde der vermeintliche ‘Wert’ des Menschen zum leitenden Gesichtspunkt. Ärzte, Pflegende und Funktionäre urteilten nach Maßgabe von ‘Heilbarkeit’, ‘Bildungsfähigkeit’ oder ‘Arbeitsfähigkeit’ über die ihnen Anvertrauten. Dabei fand die Ausgrenzung, Verfolgung und Vernichtung auffälliger, störender und kranker Menschen innerhalb des damaligen Anstalts- und Krankenhauswesens statt.

Die Wanderausstellung richtet sich gezielt an ein breites Publikum: Sie nimmt die Frage nach dem Wert des Lebens als Leitlinie und beschäftigt sich mit den gedanklichen und institutionellen Voraussetzungen der Morde, sie fasst das Geschehen von Ausgrenzung und Zwangssterilisationen bis hin zur Massenvernichtung zusammen, beschäftigt sich mit exemplarischen Opfern, Tätern, Tatbeteiligten und Opponenten und fragt schließlich nach der Auseinandersetzung mit dem Geschehen von 1945 bis heute. Exemplarische Biografien ziehen sich durch die gesamte Ausstellung: In den Akten der Opfer werden die vielen verschiedenen Akteure fassbar, die an den Verbrechen beteiligt waren. Ihren Blicken auf Patienten werden deren eigene Äußerungen gegenübergestellt.

Den Schlusspunkt der Ausstellung bilden zahlreiche Stimmen, die das damalige Geschehen von heute aus reflektieren und sich aus unterschiedlichen Perspektiven der Frage stellen, welche Bedeutung es für sie persönlich hat: Ärzte, Politiker, Vertreter von Selbsthilfeverbänden, Angehörige von Opfern, Pflegepersonal, Vertreter der Gesundheitsverwaltung und andere.“

Die verschiedenen Kapitel der Ausstellung werden präsentiert auf mobilen Stellwänden:

1. Fotoalbum (Fotos von Opfern und Tätern)
2. Der Wert des menschlichen Lebens. (Zitate aus der Ideengeschichte der Zwangssterilisation und Euthanasie)
3. Rassenhygienische Politik
4. Mord (Lebensgeschichten der Opfer stehen im Mittelpunkt)
5. Nach 1945: Verdrängen und Erinnerung

Reaktion: Entsetzen
Seriös und honorig ging es zu – bei der Eröffnung der Ausstellung „erfasst, verfolgt, vernichtet.“  am 27.1.2014, dem Tag der Opfer des Nationalsozialismus, im Löbehaus des Bundestages mit Bundespräsident GAUCK.

Anlass der Ausstellung ist die Beschäftigung der Fachgesellschaft DGPPN mit ihrer schrecklichen, um nicht zu sagen kriminellen Vergangenheit in der NS-Zeit.
Diese Ausstellung kann man sich nicht einfach in aller Ruhe ansehen, man wird von Entsetzen gepackt. ULLA SCHMIDT, Bundestagsvizepräsidentin, merkte an, dass ihr bei dem Thema immer ganz mulmig werde.

Konkrete Personen als Opfer und ihre Angehörigen werden auf den 80 Schautafeln vorgestellt, die – auf Hilfe angewiesen – von ihren Betreuern der Zwangssterilisierung oder dem Tod ausgeliefert wurden. Diese Menschen brauchte man gar nicht zu “verfolgen” –  wie der Ausstellungstitel suggeriert – sie konnten ja nicht weglaufen und sich nicht wehren.
Man fand das Leben dieser Patienten offensichtlich störend und wertlos und wollte sie aus der menschlichen Gemeinschaft entfernen. GÖTZ ALY berichtet, dass die Opfergruppen im Laufe der Zeit  immer mehr ausgeweitet wurden auf sog. „Psychopathen, Tuberkulose kranke Deutsche und dann auch kranke Zwangsarbeiter (…), schwer erziehbare Jugendliche und verwirrte alte Leute.“1

Systematisch – in mehr als zweihunderttausend Fällen (nicht in Einzelfällen, wie es heute noch gelegentlich geschieht) – hat man die Tötung in den 30er/40er Jahren tatsächlich durchgeführt. Unfassbar.

Es war die Aufgabe der Ärzte und Betreuer, Hilfsbedürftigen das Leben zu erleichtern und sie zu unterstützen. Stattdessen verweigerte man ihnen Essen und Trinken – sogar noch nachdem die offiziellen NS-Euthanasiemaßnahmen gestoppt waren – und ließ sie verhungern. Welch eine Qual für diese Menschen, die ohnehin kein leichtes Leben hatten!
Entsetzen über das fehlende Mitgefühl und Unrechtsbewusstsein der damaligen Kollegen in der Psychiatrie. Der Hausvater HEINRICH HERRMANN, Leiter der Taubstummenanstalt Wilhelmsberg/Württemberg, ein Schweitzer Staatsangehöriger, wird als eine Ausnahme in der Ausstellung zitiert. Er schickte zunächst die Meldebögen leer zurück und formulierte sein Dilemma deutlich. Neunzehn ihm Anvertraute musste er auf Dienstanweisung seiner Vorgesetzten trotzdem auf die Todeslisten setzte. Trotz seines Ungehorsams gegenüber den NS-Behörden geschah HERRMANN nicht das Geringste.2

Auch Kinderärzte wurden schuldig. Sie führten in der NS-Zeit Experimente an behinderten Kindern durch und lieferten sie dann dem Tod aus.3 An diese Verbrechen wurde etwas früher – 2010 – mit einer Ausstellung in Potsdam-Babelsberg erinnert.4

Man kann es kaum glauben, dass „nicht einmal nach 1945 (…) Psychiater an der Seite der Opfer standen.“, wie FRANK SCHNEIDER, von der DGPPN, Inititator der Ausstellung, gesteht.5
Nach der NS Zeit wurden zwar einige ärztliche Täter ihrer Posten enthoben, ihre Tat – die Zwangssterilisation – aber in den Folgen für die Opfer bagatellisiert: In Hamburg wurde der in der Nachkriegszeit dafür verurteilte Psychiater GERHARD KREYENBERG sogar mit der Begutachtung der Folgen der Zwangssterilisation beauftragt. „Er stritt die Folgen als Einbildung der Betroffenen ab und demütigte die AntragstellerInnen so ein weiteres Mal“.6 Finanzielle Entschädigungen für die zwangssterilierten Menschen hielten sich dementsprechend in Grenzen.

So geschehen vor nur 70 Jahren in unserem Land. Theoretisch diskutiert und salonfähig gemacht wurden solche verbrecherischen Ideen in Deutschland schon seit dem Ende des 19. Jahrhundert. Sie sind bis heute nicht aus den Köpfen verschwunden.7 Das NS-Regime bot diesen falschen und gefährlichen Ideen einen „Ermöglichungsraum“.

Gedenken
Und jetzt – zwei Lebensalter später – geht es um das Erinnern und Gedenken an diese entsetzlichen  Vernichtungsaktionen. Wozu Gedenken?
Weil es so üblich ist, weil es heute erwartet wird, und man danach wieder „unbescholten“ dasteht, weil die dunklen Kapitel der Verbandsgeschichte damit abgeschlossen sind? Manchmal sieht es fast so aus.
Die DGPPN versucht „Wiedergutmachung“ durch Entschuldigungen bei noch lebenden Angehörigen, Entzug der DGPPN-Ehrenmitgliedschaft verstorbener Täter, Forschungsaufträge über Zusammenhänge und Hintergründe.8 Soweit so gut?
In der von PETTRA LUTZ klug und durchdacht kuratierten Ausstellung der DGPPN geht es weniger um das „Aufarbeiten“, was immer das heißt.
Diese Ausstellung will in erster Linie Beispiele dafür zeigen, was damals geschah, nicht unbedingt Hintergründe aufdecken und nach Konsequenzen für die heutige Arbeit in der Psychiatrie fragen – so hieß es ausdrücklich.
Es gelingt der Kuratorin Entsetzen über das Geschehen dieser Vernichtungsaktion auszulösen,  “ein  notwendiger Impuls, um sich zu engagieren, weil man betroffen ist – hin zu Mut, sich einzumischen.“9

Zur Zeit wird in Berlin ein Denkmal in der Tiergartenstraße 4 gebaut, auf dem Grundstück der heutigen Philharmonie, wo sich die Organisations- und Koordinationsstelle für die Tötung behinderter und psychisch kranker Menschen befand.
Wie muss ein Denkmal aussehen für diese Ungeheuerlichkeiten?10
Das Denkmal in der katholischen Anstalt Ursberg (s.u.)hat uns irritiert, da die Namen der 359 Opfer nicht genannt werden.

Dominikus-Ringeisen-Werk Ursberg, Denkmal

In den letzten Jahren wird Wert gelegt auf namentliches Erinnern an die Opfer. „Stolpersteine“ werden seit 2004 auch für Euthanasieopfer verlegt – 20 Jahre nachdem es Stolpersteine für andere Opfer des NS-Regimes gab! Auch „Opferbücher“, und Datenbanken mit den Namen der Getöteten und Zwangssterilisierten – wie es sie für jüdische Opfer schon lange gibt – werden allmählich erarbeitet.11

Kann auf diese Weise ein Beitrag geleistet werden, damit sich so etwas nicht wiederholt? In Mecklenburg-Vorpommern stehen die landesweiten Gedenkveranstaltungen an die NS-Euthanasie unter dem Motto: „Erinnern – Betrauern – Wachrütteln“.
Das öffentliche Interesse an dieser Ausstellung der DGPPN ist groß.
„Etwas mehr darüber im Fernsehen, würde ich mir wünschen!“ sagte eine Besucherin neben mir. Dem können wir von EREPRO nur zustimmen.

In den Medien wird viel weniger über diese Mordaktion an unserer behinderten Bevölkerung berichtet als über andere Vernichtungsaktionen wie die an Roma und Sinti. Soll der Berufsstand der Ärzte geschont werden? 

Das Sichtbarmachen ist jedoch enorm wichtig. Die Erinnerung an dieses “Verbrechen gegen die Menschlichkeit” an psychisch kranken Menschen und Behinderten muss wach gehalten werden.
Filme, Dokumentationen und Reportagen könnten öffentliche Diskussionen über diese Thematik anstoßen. Beispielsweise über den immer noch als selbstverständlich geltenden Wunsch nach Abschaffung von Behinderung überhaupt. Und das Problembewusstsein schärfen für die von Ärzten bis heute dringend empfohlene Kinderlosigkeit psychisch kranker Menschen. Diese „Expertenempfehlung“ sorgt bei Psychiatriepatienten für große Angst und Unsicherheit – und nicht selten für Aufgabe des Kinderwunsches.
Übrigens – das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ wurde erst 2007 „geächtet“ – nicht annulliert, wie von Verbänden gefordert!12

Auch Gedichte und Literatur könnten die Euthanasie Morde an Psychiatriepatienten bekannter machen. Der Roman „Wem sonst als Dir“ von UTA-MARIA HEIM (Krimibestenliste) ist ein gutes Beispiel dafür. Hier spielt die Tötungsanstalt Grafeneck bei Reutlingen eine Rolle.

Ein großes Tribunal – wie der Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (100.000 Tote) – hätte diesen „Genozid“ an insgesamt 300 000 behinderten und psychisch kranken Menschen der Euthanasie im Deutschen Reich und in den von deutschen Truppen besetzten Gebieten wohl am nachhaltigsten im öffentlichen Bewusstsein Deutschlands verankert.
Und damit die Aufmerksamkeitsschwelle gesenkt für das Auftreten neuer Übergriffe in der Psychiatrie. So, wie man in Deutschland empfindlich auf Antisemitismus reagiert.

Verfehlungen
Schuldzuweisungen münden idealerweise in konkrete juristische Verfahren  – mit rechtlicher Bewertung der Taten und Verurteilung der Täter. Damit wird besonders nachdrücklich festgeschrieben, dass es sich um Unrecht handelt.

In Hessen initiierte Generalstaatanwalt FRITZ BAUER in den 60er Jahren Ermittlungen gegen leitende Psychiater in der T4-Euthanasie-Zentrale – auch gegen Richter und Staatsanwälte13, die allerdings nach seinem (überraschenden, rätselhaften) Tod 1968 sofort eingestellt wurden.

Die strafrechtliche Verfolgung der  Verantwortlichenfür die NS-Euthanasieaktionen hält sich in Grenzen.14

Es gab staatsanwaltliche Ermittlungen nicht nur wegen der Organisation und Durchführung der Tötungen, sondern auch über die Auslieferungen von Patienten an die Tötungsanstalten. In den Hamburger evangelischen Alsterdorfer Anstalten war das der Fall.15
Jedoch – soweit wir feststellen konnten – nicht in Neuendettelsau, einer nordbayerischen evangelischen Anstalt, die deutschlandweit die meisten Behinderten zur Ermordung abtransportieren ließ13: das Gedenk-Projekt „Das Denkmal der grauen Busse”16  informiert gründlich über die Auseinandersetzung in dieser Anstalt. Über strafrechtliche Anklagen der Verantwortlichen – wie des Leiters der Pflegeabteilung, Pfarrer RATZ – erfährt man in dem Projekt nichts.

„Theologen maßen menschlichem Leben – neben seinem Wert für Staat und Gesellschaft – eine absolute Würde zu,“ heißt es im Ausstellungskatalog S. 2. Man könnte sich fragen, warum diese „absolute Würde des menschlichen Lebens“ nicht auch für die Ärzte galt, verpflichtet durch den hippokratischen Eid.
Mit dieser Aussage über die Theologen läßt die Euthanasie-Ausstellung der DGPPN die Kirchen in einem (zu) guten Licht erscheinen: vielleicht ein Erfolg rechtzeitiger kirchlicher Vorsichtsmaßnahmen? Pfarrer RATZ am 30.6.194517: “Wie ich neulich von Frau DR. ASAM-BRUCKMÜLLER hörte, interessieren sich die Amerikaner sehr für die Sache. Es scheint auch, dass sie versuchen, einen verantwortlichen Mann zur Rechenschaft zu ziehen. Da ist es natürlich nötig, dass unsere Angaben über das, was wir taten, übereinstimmen. Als in dieser Woche Herr Landesbischof MEISER hier war, wurde auch über diese Sache gesprochen und auch von ihm betont, wie nötig es sei, gerade in diesen Dingen möglichst Vorsicht walten zu lassen”. Das klingt nicht nach rückhaltloser Aufklärungsbereitschaft.

Die weitere Aussage der Ausstellung: „Eine Zustimmung (der Protestanten, die Red.) zu Tötungen kam nicht infrage“ und „Patienten einzelner protestantischer Anstalten konnten so (durch Verhandlungen, die Red.) gerettet werden“18 muss relativiert und korrigiert werden – wie im folgenden zu zeigen ist.

Übrigens – beim Googeln zu diesem Themenkomplex, hat man fast den Eindruck, dass die Nationalsozialisten mehr Protest der Kirchen erwartet hatten, als dann tatsächlich eintrat.19 ERNST KLEE klagt die Kirchen in seinem Film von 1988  „Alles Kranke ist Last – Euthanasie im Dritten Reich“ der Mitwirkung an der NS-Euthanasie an.20

1. Widerstand gegen Zwangssterilisation und Euthanasiemorde in der evangelischen Kirche Bekannt ist die Denkschrift von Pfarrer BRAUNE von 194017, die HITLER kannte. Dieser ließ BRAUNE ausrichten „die Maßnahmen könnten nicht aufgehoben werden, aber sie sollten ‚anständig’ durchgeführt werden“.21

Dennoch – “ein geschlossener, einheitlicher und offizieller Widerstand ist von der evangelischen Kirche aus nicht zustande gekommen.“ „Widerstand erschöpfte sich in vertraulichen Eingaben an Länder- und Reichsbehörden. Während die Spitze der evangelischen Kirche keinen Erfolg durch ihren ‚vertraulichen Widerstand’ erzielte, versuchten die Anstaltsleiter der Inneren Mission, die gegen die Zwangssterilisationen keine Einwände erhoben hatten, nun ihre Pfleglinge vor Verlegungen in T4-Anstalten zu schützen. Sie leisteten hinhaltenden Widerstand. Das hieß, sie weigerten sich, die Meldebögen auszufüllen. Allerdings teilten sie die Kranken nach eigenem Schema in Gruppen ein, um möglichst wenige der ‚Euthanasie’ auszuliefern. Von der kontrollierenden T4-Ärztekommission wurde diese Einteilung lobend erwähnt, da die Kommission dadurch viel früher ihre Arbeit beenden konnte.“22

 “Der Spiegel“23  berichtet: „In der nordbayrischen Anstalt Neuendettelsau beispielsweise erledigten ein DR. STEINMEYER und Kollegen binnen weniger Tage die Fragebögen für 1800 Menschen. STEINMEYERS Crew untersuchte nicht einen einzigen der Pfleglinge, die meisten wurden nicht einmal angesehen.“

2. Widerstand gegen Zwangssterilisation und Euthanasiemorde in der katholischen Kirche
“Die katholische Kirche, 1940 schon über die Gasmorde informiert, verbot den katholischen Heil- und Pflegeanstalten eindeutig die Mitarbeit an den Verlegungen und meldete bei der NS-Spitze vorsichtigen Protest an. Durch die T4-Zentrale initiiert, fanden Verhandlungen mit der Fuldaer Bischofs-Konferenz über eine eventuelle Duldung der ‚Euthanasie’-Maßnahmen statt. Anfang Dezember 1940, als die T4-Organisatoren gerade mit einem positiven Ergebnis dieser Gespräche rechneten, kam vom Vatikan eine Stellungnahme, in der die ‚Vernichtung lebensunwerten Lebens’ ausdrücklich abgelehnt wurde. Weitere Verhandlungen fanden deshalb nicht mehr statt.“24

Mögliche Gründe für das Versagen der Verantwortlichen
Das Versagen der damaligen Psychiater, und der Verwaltungsmitarbeiter, ihre Abhängigkeit von Forderungen staatlicher Stellen, Karriere- und materielle Interessen25 werden in der Ausstellung deutlich durch Dokumente über die Euthanasie-Pläne der Nationalsozialisten und über zeitgenössische Fragen und Diskussionen.

Es ist nicht möglich, Gründe und Ursachen für dieses Geschehen eindeutig zu ermitteln, und  somit Wiederholungen mit Sicherheit auszuschließen. Aber öffentliche Debatten sollten stattfinden über die Fehler im Umgang mit behinderten Menschen, die solche Entsetzlichkeiten zur Folge hatten.
“Ich glaub nicht, dass der Mensch so gut ist und so gefeit ist und dass unser System so toll ist, dass wir verhindern können, dass so was noch mal passiert.” sagt FRANK SCHNEIDER.20a BEDDIES dagegen fordert, dass „die Beschäftigung mit der NS-Medizin, sei es im Forschungs-, sei es im pädagogischen Bereich nicht als lästiger und vorübergehender Auftrag, sondern vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen als Dauerauftrag verstanden werden muss; die Geschichte lehrt nämlich doch, sie hat nur leider so wenige Schüler.“26
MICHAEL WUNDER von den Alsterdorfer Anstalten betont, das Selbstbestimmungserfordernis sei keine „stabile Grenze“.27
Das stimmt: solche Grenzüberschreitungen garantiert zu verhindern, steht in niemandes Macht. Diese können aber deutlich als falsches Verhalten gekennzeichnet und verurteilt werden.28

Was lief falsch, dass ganz normale, ja gerade die qualifiziertesten Psychiater zu Verbrechern wurden? Die Frage drängt sich dem Ausstellungsbesucher förmlich auf. Sie wird allerdings so nicht thematisiert.

Pfarrer KARL FUCHS schrieb 2000: “Nicht um Schönfärberei oder Vertuschen geht es uns, aber um Achtung vor den Brüdern, die in böser Zeit verantwortlich handelten und dennoch schuldig geworden sind.“29
Das klingt ja fast, als ob “die Brüder” Opfer waren. Es gibt eine These, die besagt, die Psychiatrie sei von den Nationalsozialisten “instrumentalisiert” worden. Hier – ebenso wie bei der Rede vom “institutionalisierten Rassissmus” gibt es großen Diskussionsbedarf über die Verantwortlichkeit Einzelner.
War es diesen Pfarrern unklar, was „falsch“ bedeutet, und woran sich das Handeln gegenüber schwachen Menschen orientieren muss?
Schwere Verfehlungen – wie die NS-Euthanasiemorde – konnten nur in Verkennung der Wirklichkeit (als das, worauf wir keinen Einfluss haben) geschehen und durch Nicht-Beachtung der Grenzen unseres Mutwillens, denn menschliches Verhalten ist nun mal nicht beliebig – es kann falsch sein.

Zwei prinzipielle Postulate, durch die falsches Verhalten identifiziert werden kann – ein juristisches und ein sittliches – sollten für jeden Bürger handlungsbestimmend sein – auch oder gerade für Mächtige.

1. Die juristische Grenze.
Wenn es – wie bei der NS-Euthanasie – kein gültiges Gesetz gibt, bestimmt sich „falsches Verhalten” grundlegend aus dem Naturrecht, in dem kein Mensch einen anderen töten darf. Das ist geltende Rechtsnorm.
Man kann davon ausgehen, dass diese rechtliche Lage den Verantwortlichen der Mordaktionen bekannt war. Wenn sie trotzdem mordeten, verleitete sie wohl primär eine Mißachtung der sittlichen Normen im Verhältnisses zu den Mitmenschen zu ihren Verbrechen.

Theologen versuchten die Tötungen zu legitimieren. Dr. HANS HARMSEN, leitender Mitarbeiter der Inneren Mission, formuliert bereits 1931:
“Dem Staat geben wir das Recht, Menschenleben zu vernichten, Verbrecher und im Kriege. Weshalb verwehren wir ihm das Recht zur Vernichtung der lästigsten Existenzen?”30
Selbst der verehrte Pastor FRIEDRICH VON BODElSCHWINGH, Leiter der Bethelschen Anstalten wörtlich: „Ich würde den Mut haben, vorausgesetzt, dass alle Bedingungen gegeben und Schranken gezogen sind, hier im Gehorsam gegen Gott die Eliminierung an anderen Leibern zu vollziehen, wenn ich für diesen Leib verantwortlich bin.”31

2. Die sittliche Grenze.
Im zwischenmenschlichen Bereich bestimmt sich Anstand und Sittlichkeit grundlegend durch die Beachtung des Selbstbestimmungsrechts des anderen Menschen.32

Im Ausstellungskatalog heißt es: „Die NS-Psychiater maßten sich an, die Lebensweisen und -möglichkeiten einiger ihrer Patienten offensichtlich für unzureichend zu betrachten und ignorierten daraufhin dieses universelle Selbstbestimmungsrecht.“33
Diese paternalistische Haltung verführte sie zu den “Übergriffen” wie Zwangssterilisierung und sogar Ermordung.

Das sittliche Postulat ist eine einfache Anstandsnorm im Zusammenleben der Menschen. Einschränkungen und spitzfindige Differenzierungen in Fachdiskussionen dürfen ihre Gültigkeit nicht relativieren. Auch wenn HIMMLER in den berühmten „Posener Reden“34, behauptete, die SS-Mörder seien „immer anständig geblieben“, so forderte er „anständig zu sein“ nur gegenüber den „Angehörigen unseres eigenen Blutes und sonst zu niemandem.“ Diese Einschränkung ist völlig willkürlich, und wurde dann auch nach Bedarf variiert: die Euthanasiemorde wurden begangen an Deutschen!
Sogar der Volksmund fordert diesen Anstand im Sprichwort: „Was du nicht willst, das man Dir tu’, das füg’ auch keinem anderen zu.“35
Es ist also auch möglich, sittlich falsches Verhalten zu erkennen und zu beurteilen.
Beide Postulate gelten für alle Menschen – auch für Psychiater und Kirchenvertreter, und seien sie noch so „hochkarätig“.
„Er (Rektor LAUERER von Neuendettelsau, die Red.) weiß, dass es vor Gott kein ‚lebensunwertes Leben’ gibt, schreibt aber 1939: ‚Wir Lutheraner können nicht anders, als grundsätzlich bejahend zum Staat, zu unserem Staat stehen. Von diesem Standpunkt aus haben wir kein Recht es zu beanstanden, wenn der Staat die Tatsache minderwertigen Lebens konstatiert und dann auch handelt.’ Diese Haltung erlaubt es, dass 1941 aus den Neuendettelsauer Anstalten von 2‘137 Bewohnern 1‘911 abtransportiert werden.”36
In einer Niederschrift über die Verhandlungen mit der Regierung von Ober- und Mittelfranken betreffs „Verlegung unserer Pfleglinge“ (aus der Anstalt Neuendettelsau, d. Red.) heißt es 1941: „Herr Rektor LAUERER betonte, dass wir uns einer Anordnung des Staates selbstverständlich fügen.”38
Die Argumentation von LAUERER beruht auf der sog. Zwei-Reiche-Lehre der Lutherischen Kirche37, die Auseinandersetzung darüber ist bis heute nicht abgeschlossen. LAUERER stand der Bekennenden Kirche nahe.40

Am Ende der Ausstellung „erfasst, erfolgt, vernichtet.“ kann man sich sog. Statements von Menschen aus der heutigen Psychiatrie anhören. MICHAEL v. CRANACH sagt dort, dass die Beschäftigung mit der NS-Euthanasie sein Selbstbild als Psychiater stark verändert habe. Er will den Patienten auf Augenhöhe begegnen und nicht Macht ausüben,  sondern „Dienstleister“ sein. Aus unserer Zusammenarbeit mit seiner Klinik können wir bestätigen: das ist den immer neuen Versuch wert.

Warnung vor gefährlichen Grenzüberschreitungen
Was Mitarbeiter in der Psychiatrie wohl verleitet haben könnte, die beiden beschriebenen, allgemein anerkannten Grenzen zu überschreiten, spielte in unseren Diskussionen bei EREPRO über die DGPPN-Ausstellung eine große Rolle. Die Frage bot gleichzeitig Gelegenheit „uns mit uns selbst bekannt zu machen“.41

Wir referieren hier diese Überlegungen und Vermutungen schlagwortartig. Sie müssen weiter ausgearbeitet werden, besonders in ihrem Bezug auf die aktuelle Psychiatrie, aber vielleicht kann man ihnen schon einige Hinweise zur Warnung und Früherkennung von Gefahren erneuter Grenzüberschreitungen in der “modernen” Psychiatrie entnehmen.

a. NS-Psychiater könnten sich als allzuständig für gesamtgesellschaftliche Ordnung und Kontrolle verstanden haben. Scherzhaft sagte MANFRED LÜTZ am 6.5.2014 im ZDF, seine Klinik sei „für Irrsinn des Kölner Südens zuständig“.42
Eine größenwahnsinnige Mission übersieht schnell die Selbstbestimmungsrechte Anderer. Dazu einige Zitate:
„Davon ausgehend, dass der Nationalsozialismus Ärzte und Forscher weitgehend von ihrer Verantwortung gegenüber ihren Patienten entbunden hatte, indem er scheinbar höhere Werte und politische Interessen des Volksganzen in den Vordergrund rückte, stellen die Kinderärzte sich der Tatsache, dass viele unter ihnen nicht die Kraft aufbrachten, den Versuchungen zu widerstehen. Sie haben damit sich und der deutschen Kinderheilkunde schwerste Schuld aufgeladen.“43
“Das Ziel (der Euthanasie-Tötungen, d. Red.) sei in erster Linie durchaus nicht ein wirtschaftliches, das Ziel sei vielmehr auch ein grosses, es gehe um eine höhere ärztliche  und allgemeine Ethik, es sei menschlicher eine lebensunwerte Existenz zu beenden als sie weiter…“ schreibt  Psychiater EWALD laut Ausstellungskatalog. S. 75
„Die NS-Mediziner (…) waren Idealisten und hatten eine gesellschaftliche Utopie. Es handelte sich um eine biopolitische Entwicklungsdiktatur mit dem Ziel der vollständigen Kontrolle über Leben, Leiden, Sterben, Zeugen und Gebären.”44
“Die biopolitische Utopie  von einer Gesellschaft leistungsstarker, lebensfreudiger und gesunder Individuen machte sie für den nationalsozialistischen Zukunftsentwurf anfällig“, meint ALY.45

b. Mitarbeiter in der Psychiatrie (insb. Ärzte) könnten aus ihrer gesellschaftlichen Machtposition – insbesondere als Gutachter – eine patriarchalische Haltung entwickeln und  Anforderungen und Ziele für andere Menschen (auch Kollegen) verabsolutieren, sowie eigenmächtig Verhalten normieren, wo eigentlich Toleranz der Vielfalt, Wissen um die prinzipielle Unerreichbarkeit solcher Ziele (auch der wissenschaftlichen), und das Aushalten von Mehrdeutigkeit angemessen wären. Das sittliche Postulat der Beachtung der Bedürfnisse Anderer würde dabei übersehen.

Ein Gegenbeispiel: Der Chefarzt v. CRANACH ließ die übliche „Prognose“ für den Patienten in Arztbriefen weg mit der Begründung, dass sie fachlich nicht mit ausreichender Sicherheit festgestellt werden könne.

c. Psychiatrie-Fachkräfte könnten sich Kontroll- und Zwangsmaßnahmen anmaßen aus ihrer Machtposition heraus. Wobei die lebendige Auseinandersetzung, Motivierung und Überzeugungsarbeit mit Patienten und Kollegen zu kurz käme. Auch persönliche Bedürfnisse der Psychiatrie-Mitarbeiter nach Klarheit und Eindeutigkeit, Ruhe und Ordnung – vielleicht sogar eine gewisse Bequemlichkeit – könnten bei der Anwendung von Zwang eine Rolle spielen bei dieser Mißachtung von Patientenselbstbestimmung.

Der Psychiater PAUL NITSCHE setzte sich vehement gegen Zwangs- und Kontrollmaßnahmen ein – als unvereinbar mit der Menschenwürde und der Achtung vor Klienten. Er vertrat eine ambulante Sozialpsychiatrie unter Einbeziehung von Laien, wie sie heute praktiziert wird. Im Laufe seiner Karriere wurde er Leiter der T4 Zentrale, dabei freute er sich nach den Tötungen „ohne den Ballast nun richtige Therapie treiben zu können“. Nach dem Krieg wurde er als Massenmörder hingerichtet.46

Die Ablehnung von Zwang in der Psychiatrie bedeutet also noch keine Sicherheit gegenüber anderen, sogar tötlichen „Übergriffen“, insbesondere wenn ein Psychiatriepatient als „unheilbar“ erscheint.

d. Wie verfahren wird, um „Verrücktheit“ zu bändigen, wird letztendlich der betroffene Mensch bestimmen und nicht der psychiatrische Experte.
Es gab – und wird immer eine große Bandbreite von Haltungen und Wertausrichtungen bei den Mitarbeitern der Psychiatrie geben. Im Kampf gegen den „Irrsinn“ kann man im Interesse von Ordnung und Effektivität dazu neigen, “Verrücktheit” durch chemische Einwirkung (Medikamente) zu unterdrücken – zur Sicherheit in hoher Dosis und lebenslang. Oder man stellt die „irrsinnigen Ideen“ selbst in den Mittelpunkt und interpretiert und analysiert sie im Gespräch mit dem Patienten, um so das Chaos zu durchdringen.

Diese Vielfalt ist Realität, auch wenn die Einstellungen unvereinbar erscheinen, und sich jede der verschiedenen Ausrichtungen auf der einzig richtigen Seite wähnt. Das war auch bei den Psychiatern der Nazi-Euthanasie der Fall.
Fachkompetenz wird aber durch Beratung und Diskussion mit dem Patienten wirksam – nicht durch ein psychiatrisches “Machtwort”. Das kann sowohl ein Zurückstellen der eigenen (wissenschaftlichen oder therapeutischen) Interessen bedeuten, als auch das Zurückstellen wohlmeinender Fürsorge für den Patienten. Die Arbeit wird dadurch langwieriger, mühsamer und weniger „effizient“. Diese Einschränkungen nimmt das “anständige” Fachpersonal auif sich: „Das ist Psychiatrie“ – lautet ein geflügeltes Wort dazu von Mitarbeitern, die sich nicht ködern lassen aus ihrer Machtsituation heraus eigene, schnelle Pseudoerfolge bei Patienten zu erzielen.

e. Die Angst vor den Abgründen der menschlichen Seele könnte bei Psychiatrie-Mitarbeitern so groß sein, so dass sie sich untergründig bedroht fühlen durch vage “Gefährlichkeit” ihrer Patienten. Auch das kann in Versuchung führen, das sittliche Postulat nach deren Selbstbestimmung zu ignorieren.
Zur Sicherheit mag mancher dann zu Manualen und „Praxis-Leitlinien“47 greifen, um sich  genau nach Vorschrift zu verhalten und die „Gefährlichkeit“ „richtig“ zu beurteilen. Das vermittelt jedoch nur eine Illusion von Sicherheit, wenn das Gegenüber nicht ausreichend einbezogen wird.

Ein möglichst vertrauensvolles, aufmerksam geführtes, lebendiges Gespräch dagegen – ähnlich einem Kunstwerk – kann eine integrative Wirkung auf die chaotisch auseinanderdriftenden Gefühle eines Patienten haben, Struktur und Legitimität vermitteln, und so zu seiner Entscheidungsfindung beitragen ohne die Eigenständigkeit zu unterdrücken. Es kann auch dem Mitarbeiter helfen beim Umgang mit der Angst vor unkontrollierter “Gefährlichkeit” in der Psychiatrie. Denn gegenüber der blinden Befolgung von Anweisungen, die Kontrolle und Behrrschung versprechen, wachsen beim Gespräch Vertrautheit und Nähe mit dem Patienten.

f. Verbreiteter Machbarkeitswahn.
Es gibt keine „Problemlösungskompetenz“, darauf weist BAZON BROCK hin, nur „Problemschaffungskompetenz“. Es empfiehlt sich, diese Feststellung48 angesichts eines verbreiteten „Machbarkeitswahns“ zu beachten:
“Den Medizinern schien der individuelle Körper gestaltbar und optimierbar zu sein, womit in der Konsequenz der Versuch der Normierung, Quantifizierung und Kategorisierung der biologischen Eigenschaften verbunden wurde: ‚Im modernen Umgang mit dem Körper ging es (…) vor allem um die Steigerung seiner Potenziale, um die Rationalisierung seiner Praxis, um die Optimierung seiner Leistung und um die Verbesserung seiner Gesundheit’, heißt es bei PAULA DIEHL, die über Körperbilder und Körperpraxen des NS gearbeitet hat. Dass der so (ab-) gestimmte Mensch Höchstleistungen vollbringen und anderen Individuen und Kollektiven überlegen sein könnte, war ein Gedanke, der in unterschiedlichen Varianten der Utopie vom ‚Neuen Menschen’ zu finden war – und in der NS-Ideologie der (Wieder-)‚Hervorbringung des Ariers’ artikuliert wurde.“49

BROCK hält dagegen:
„Psychologen erkannten den Verlust des Wirklichkeitssinns durch Allmachtsphantasien von Tätertypen aller Handlungsfelder. Zur heilenden Selbsterkenntnis führt das Einverständnis mit der je eigenen Beschränktheit in Wissen, Können und Haben. (…)Der Mediziner weiß, dass nicht er heilt, sondern die Natur. Er verpflichtet sich vielmehr der kuratorischen Anstrengung, den Kranken optimal beim Umgang mit seinem Leiden anzuleiten.“50

Dem Experten ordnet BROCK den „Diplom-Patienten“ zu, den wir abschließend vorstellen möchten.
Inwieweit die Informationen von „erfasst, verfolgt, vernichtet.“ die Besucher sensibilisiert, vergleichbaren Gefahren in der aktuellen Psychiatrie51 kritisch zu begegnen, sei dahingestellt. Der „Profi-Patient“ wird jedenfalls dringend gewarnt sein.52
BROCK erläutert: „Professionalisierung (von Patienten, d. Red.) heißt, jemandem durch Vormachen, Demonstrieren, durch ein Beispiel geben zeigen, wie man seine Impulse, aktiv werden zu wollen, auch sinnvoll in die Wege leitet und vor allen Dingen, wie man sich selbst dabei stabilisiert und nicht die Erfahrung macht, man hätte zwar alles versucht, aber es sei alles vergeblich gewesen. Denn bei Spontanimpulsen des Handelns ist das Gefährlichste, dass nach kurzer Zeit die Beteiligten das Gefühl haben, es war ja alles für die Katz‘.
Das ist sehr gefährlich für die Beteiligten selbst, nicht nur, weil es zu Resignation führt, sondern es führt zum Verlust der Selbstwürdigung. (…) Im Grundgesetz steht: ‚Die Würde des Menschen ist unantastbar.’ Die unantastbare Würde ist aber nur dann gegeben, wenn jemand gewürdigt wird. Also ist Würde nur durch Würdigung möglich. Man muss also lernen, etwas angemessen zu würdigen.“

Gerade für die Psychiatrie sind einige weitere Bemerkungenvon BROCK interessant:
“Die wahre Aufklärung heißt, wer auf Rationalität besteht, muss lernen, einen vernünftigen Gebrauch von der Unvernunft zu machen. (…) Er (der Profi-Patient, die Red.) ist in der Lage, mit sich selbst als Gegenstand seines eigenen Handelns umzugehen. Das nennt man Reflexivität. Er hat ein wohlverstandenes Interesse an sich selbst, denn er will lernen, sich selbst zu würdigen, und dazu muss er anderes würdigen können, dazu braucht er gewisse Kenntnisse und Vorgaben. Dazu gehört auch das Wissen, dass es jenseits der Rationalität auch das Irrationale gibt, erst beides macht uns zu Weltbürgern, die sich nicht mehr als angeblich rationale Wesen von anderen angeblich irrationalen Kulturen abschotten.“53

Menschen mit sehr schweren psychischen und geistigen Störungen und in Krisen sind entsprechend zu unterstützen. Disability studies forschen darüber.54

Es gibt kein Allheilmittel gegen Gewaltausübung, wenn Psychiatriemitarbeiter die Selbstbestimmung von Patienten übergehen. Aufklärung, Bildung und Ermutigung55 auch Angehöriger und potentieller Patienten können jedoch präventiv wirken.56 Literatur Film und Fernsehen sowie Musikbranche sind gefordert mitzuwirken. Vorbildlich das Engagement der Rocksängerin NINA HAGEN in der Psychiatrie.57

Es wäre für Besucher der DGPPN-Ausstellung hilfreich Gelegenheit zu bekommen, Fragen zum historischen Geschehen der NS-Euthanasie, und Probleme in ihrer Akualitär für die heutige Psychiatrie bzw. Kirche und Diakonie diskutieren zu können.
Eine Wanderausstellung wie „erfasst, erfolgt, vernichtet.“ bietet gute Voraussetzungen zur Auseinandersetzung, da die jeweiligen Veranstalter der Ausstellung ein entsprechendes Begleitprogramm organisieren können.
Mögliche Fragestellungen dafür wurden in diesen Anmerkungen kurz angesprochen. Es fehlen wichtige und brisante Themen wie „Angehörige in der NS-Euthanasie“, auf die wir hier nicht eingehen konnten. Ebenso fehlt das Thema „Wiedergutmachungsleistungen“ an die Opfer, die hinsichtlich der Gleichstellung der NS-Euthanasie Opfer mit den anderen Opfern der NS-Diktatur erst 2011 einen Erfolg verbuchen konnten.58

Gedenken bedeutet also nicht Abhaken und zu den Akten legen.
Sorgen wir durch anhaltende Auseinandersetzung mit der NS-Euthanasie dafür, dass so ein Massenmord sich nicht wiederholen kann, und verhindern auch allererste Ansätzen von Verletzung der Selbstbestimmungsrechte von Psychiatriepatienten und Menschen mit Behinderung. Daran müsste jeder das größte Interesse haben, denn psychische Krankheit und Behinderung können jeden treffen.

Ganz zum Schluss sei noch daran erinnert, dass das Credo der EREPRO gGmbH  („Ein Recht auf Probleme“) aus der Beschäftigung mit der NS-Euthanasie entstand:

„Die Initiative EREPRO setzt sich dafür ein,  
dass Lebensvielfalt einschließlich ihrer problematischen Seiten akzeptiert wird,
und lehnt den herrschenden Trend zum „Funktionieren um jeden Preis“ ab.
EREPRO fordert, dass Menschen mit Problemen sich nicht verstecken müssen,
da sie ebenso viel Beachtung verdienen wie jeder andere.“

Anmerkungen
Abrufdatum aller links 13.5.2014

1 GÖTZ ALY, Die Belasteten, 2013, S. 61

2 Zitat des Hausvaters HERMANN: „Mit schwerem Herzen schicke ich die Bögen heute an Sie. Es sind darauf Menschen geschrieben, die uns von Behörden und Privaten anvertraut sind, damit wir ihnen alle Sorgfalt und Liebe angedeihen lassen. Es war mir eine Freude, diesen Menschen zu dienen. Jetzt soll ich sie dem Tod ausliefern ‚aus Gehorsam gegen die Obrigkeit’“ 25.10.1940, Ausstellungskatalog S. 9
s. auch GÖTZ ALY, Die Belasteten, 2013, S. 38

3 THOMAS BEDDIES, Die Geschichte von „Euthanasie“ und Zwangssterilisierung aus heutiger Kenntnis. o. J.

4 Monatszeitschrift Kinderheilkunde, Band 159, Supplement 1, Januar 2011
http://www.aerzteblatt.de/archiv/79245/Kinderheilkunde-in-der-NS-Zeit-Sozialsanitaeres-Grossprojekt-Arzt-am-Volkskoerper
und http://www.dgkj.de/ 

5 http://www.deutschlandfunk.de/psychiatrie-im-nationalsozialismus.1148.de.html?dram:article_id=180672

6 http://www.krankenhaushasser.de/html/euthanasie.html

7 s. MICHAEL SCHWARTZ, 1998, “Euthanasie”-Debatten in Deutschland (1895-1945), Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Jg 46, Heft 4, http://www.ifz-muenchen.de/vierteljahrshefte/vfz-archiv-und-recherche/vfz-download-1953-2008/

8 Kommission zur Aufarbeitung der Geschichte der DGPPN unter Leitung von VOLKER ROELKE

9 http://www.kultur-punkt.ch/akademie4/kooperation-swr2/swr2-aula11-6brock-profiweltbuerger.htm

10 http://www.sigrid-falkenstein.de/euthanasie/t4_gedenken.htm
zu Gedenkveranstaltungen auf dem T4-Grundstück in Berlin s. FRICKE. R., Späte Anerkennung der T4-Opfer, in: Psychosoziale Umschau 2/14, S. 14

11 s. Dokumentation von HERBERT IMMENKÖTTER, „Menschen aus unserer Mitte. Die Opfer von Zwangssterilisation  und Euthanasie im Dominikus-Ringeisen-Werk Ursberg“, auf die GÖTZ ALY in seinem Buch „Die Belasteten“, 2013 hinweist. –

12 FRICKE (a.a.O) erwähnt die Stolpersteine:  „Die Stolpersteine sind kubische Betonsteine mit einer Kantenlänge von 96 × 96 Millimeter und einer Höhe von 100 Millimetern, auf deren Oberseite sich eine individuell beschriftete Messingplatte befindet. Sie werden in der Regel vor den letzten frei gewählten Wohnhäusern der NS-Opfer niveaugleich in das Pflaster des Gehweges eingelassen.“ http://de.wikipedia.org/wiki/Stolpersteine

s. GÖTZ ALY, Opfer ohne Namen, FR, 27.8.2012 http://www.fr-online.de/meinung/kolumne-opfer-ohne-namen,1472602,16982316.html

13 http://www.ffmhist.de/ffm33-45/portal01/portal01.php?ziel=t_ak_euthanasie_prozesse

14 https://sites.google.com/site/euthanasiestiftung/juristische-aufarbeitung

15 ANDREA HAUSER, Das Leben verteidigen – die wechselvolle Geschichte der „Euthanasie“.

16 THOMAS STÖCKLE, Das Denkmal der grauen Busse – Stuttgart 2009 und 2010. 70 Jahre  Beginn der „Euthanasie“-Verbrechen in Deutschland. PDF Dokument.

17 http://www.theologe.de/euthanasie.htm

18 s. Ausstellungskatalog S. 106

19 s. Geheime Reichssache, „Euthanasie“ – Aktion T 4, Die Ermordung von kranken und behinderten Menschen der Heil- und Pflegeanstalt Stetten in Grafeneck

20 http://www.readers-edition.de/2012/04/07/%E2%80%9Ealles-kranke-ist-last%E2%80%9C-%E2%80%93-euthanasie-im-dritten-reich/

21 https://sites.google.com/site/euthanasiestiftung/widerstand-gegen-die-euthanasie–aktionen/pastor-paul-gerhard-braune

22 http://bismarckgymmi.bi.funpic.de/projekte/geschichte/projekt2/arbeit2gruppe3.php

23 http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46163172.html

24 http://bismarckgymmi.bi.funpic.de/projekte/geschichte/projekt2/arbeit2gruppe3.php

25 s. Ausstellungskatalog S. 70

26 BEDDIES a.a.O.

27 “Verstehen und Gedenken. Psychiatrie im Nationalsozialismus – Lernen mit der Geschichte? MICHAEL WUNDER „Mit der Geschichte für die Zukunft lernen.“ Berlin, 3.September 2010

28 s. hilfe Blätter von EREPRO Nr. 14 „’Die Würde des Klienten ist un…’?“und Nr. 15 „Wer kann selbstbestimmen? Reformbedarf in der Psychiatrie.“

29 In einer Zuschrift an das Evangelische Sonntagsblatt aus Bayern Nr. 50 vom 10.12.2000

30 http://www.meinungsverbrechen.de/tag/kirchen/ darin
„Vernichtung lebensunwerten Lebens“, von Ernst Klee und Gunnar Petrich (ARD 1988)

31 zit. nach Ernst Klee, Die SA Jesu Christi, 1989, S. 88. sichten-und-vernichten

32 s. Nürnberger Kodex von 1947. N%C3%BCrnberger_Kodex und
Stichwort „informierte Einwilligung“ bei Wikipedia. Informierte_Einwilligung#Inhalt_und_Umfang
Zur Diskussion dieses Themas s. hilfe Blätter von EREPRO Nr. 14 „’Die Würde des Klienten ist un…’?“

33 zur genaueren Diskussion der Selbstbestimmung s. hilfe Blätter von Erepro Nr. 15 „Wer kann selbst bestimmen?“

34 http://de.wikipedia.org/wiki/Posener_Reden

35 s. dazu M. Krisor, H. Pfannkuch Hrsg. 1997, Was Du nicht willst, das man Dir tut. Gemeindepsychiatrie unter ethischen Aspekten.

36 http://www.meinungsverbrechen.de/tag/kardinal-von-faulhaber/
und HANS LAUERER, Das Menschenleben in der Wertung Gottes, 1939; zit. nach KLEE, Die SA Jesu Christi, a.a.O., S. 180 f, s. http://www.theologe.de/euthanasie.htm

37 http://www.theologe.de/euthanasie.htm und
http://www.landesbischof-meiser.de/wesen-und-wirken/verhaeltnis-zur-staatsgewalt.php

38 http://www.meinungsverbrechen.de/tag/kardinal-von-faulhaber/

40 www.bruckberg-evangelisch.de/

41 Formulierung von GUSTAV SEIBT, Niemand ist auf der sicheren Seite. Laudatio auf GÖTZ ALY zum HEINRICH-MANN-Preis der Akademie der Künste in Berlin am 3. Mai 2002

42 http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/2148378/Manfred-Luetz-bei-Volle-Kanne#/beitrag/video/2148378/Manfred-Luetz-bei-Volle-Kanne

43 BEDDIES a.a.O.

44 HANS-WERNER SCHMUHL zit. nach http://138.232.99.50/bilder/piclist2.php?-skip=5238&-max=12

45 GÖTZ ALY, Die Belasteten, 2013, S. 54f. 

46 GÖTZ ALY, Die Belasteten. 2013, S. 57

47 https://www.dgppn.de/publikationen/leitlinien/leitlinien10.html

48 http://www.schwindelderwirklichkeit.de/uber-die-einheit-von-schwindel-und-schwindeln/

49 BEDDIES a.a.O.

50 http://www.denkerei-berlin.de/gruendung/
MANFRED LÜTZ spricht in der oben erwähnten ZDF Sendung davon, dass die Kranken „heilbar“ seien.

51 Dass auch heute nicht immer die Menschenwürde der Patienten respektiert wird, können sie lesen auf „Psychiatrie hinter verschlossenen Türen“ auf www.erepro.de

52 s. hilfe Blätter von EREPRO S. 46 „Selbstfürsorge“.

53 http://www.kultur-punkt.ch/akademie4/kooperation-swr2/swr2-aula11-6brock-profiweltbuerger.htm

54  Wikipedia „Behinderung“.  s. auch hilfe Blätter von EREPRO „Wer kann selbst bestimmen?“ S. 33, s. auch Psychosoziale Umschau 2/14, S. 35: UWE HARM, Assistenz vor Stellvertretung, Wie Menschen mit Behinderungen ohne gesetzliche Vertretung unterstützt werden können.
s. Lehmann, Peter Möglichkeiten und Grenzen von Selbstbestimmung in der Krise. Psychosoziale Umschau 2/14, S. 45

55 auch zu Patientenverfügungen s. www.patverfue.de

56 Die in psychiatrischen Kliniken beliebten „psychoedukativen“ Kurse erfüllen diese Anforderungen nicht ausreichend.

57 http://www.youtube.com/watch?v=0VUsRUHC0Pw 

58 s. FRICKE a.a.O.

Humor trotz aller Beschwerden

Wer sagt: “Das interessiert mich nicht!” soll nur wissen, es kann jeden treffen! Aber nicht jeder hält das aus!
Diesen Bericht schreibe ich mit einer besonderen “Würze”. Ich will zeigen das ich trotz des großen Leids, das uns angetan wurde, noch immer über so manches lachen muss. Der Humor ist also noch immer vorhanden. Jetzt ist meine psychisch kranke Tochter endlich in sicherer Verwahrung. Sie erholt sich in einem Pflegeheim von der Behandlung in einem  Bezirkskrankenhaus, das vom Bau her modern ist, aber da sind zwei Stationen, die man nur betreten kann als Pflegekraft, als Arzt, als Putzdame, Besucher eines bestimmten Patienten oder als Patient. Alle müssen durch 2 verschlossene Türen gehen, nur der Patient darf nicht wieder zurück ins “normale” Leben. Er ist psychisch krank, und er braucht eine Behandlung seiner Erkrankung.

Früher konnte man genau erkennen, wer der Patient ist, denn die Ärzte trugen weiße Kittel. Auch das Pflegepersonal in der modernen Psychiatrie verzichtet oft, wie die Ärzte, auf den weißen Kittel – und so passierte mir folgendes:
ich wollte meine Tochter besuchen – das war damals auf einer offenen Station des Hauses. Mir wurde gesagt, dass meine A. an einer Gesprächsrunde teilnimmt, und ich setzte mich in der Nähe des Eingangs auf einen Stuhl und bewunderte grade die große Pflanzen, die da vor mir standen, als ein junger Mann auf mich zu kam und sagte: “Sie sind sicher die Mutter der Patientin A., denn ihre Tochter sieht Ihnen sehr ähnlich.”
Ich lächelte und sagte: “Ja, ich bin die Mama der A.”
Gut, dass ich nicht weiter reden konnte, denn die Gesprächsrunde war beendet, und meine Tochter kam mir entgegen. Der junge Mann war plötzlich weg, meine Tochter umarmte mich, und wir gingen in ihr Zimmer. Als wir unterwegs zu einem Spaziergang waren, sah ich den jungen Mann erneut und fragte meine Tochter, wer er sei, und an welcher Erkrankung er leide. Meine Tochter meinte: “Das ist mein Arzt.” Mein Gesicht wurde erst weiß und dann rötlich, denn ich hätte beinahe den Arzt gefragt, weswegen er auf der Station sei. Er hatte er sich nicht vorgestellt, und es wäre ja durchaus möglich gewesen, dass er ein Patient ist.
Viel später habe ich ihm folgendes Kompliment gemacht. Ich sagte: “Bei Ihnen merkt man ganz deutlich, dass sich unter dem weißen Kittel ein Mensch mit humanen Gefühlen verbirgt.” Denn da war er im Arztzimmer der Ambulanz der Klinik und trug dort den weißen Kittel.

Leider sind solche Ärzte in dieser Nervenklinik recht selten anzutreffen. Besonders auf den geschlossenen Stationen stolzieren Götter in Weiß gehäuft die Gänge entlang, und sie sind oft derart eingebildet, dass man als Angehöriger gar keine Lust mehr hat mit ihnen ins Gespräch zu kommen.
Ich habe als Psychiatrieerfahrene schon einiges erlebt, aber was in dieser Klinik als “schonende Behandlung” gelten soll, ist derart grausam, dass es schwer zu beschreiben ist. Ich habe es dennoch versucht, und zwar als meine Tochter wieder einmal in dieser Nervenklinik behandelt wurde – auf der Station für Alkoholkranke.
Leider hatte ich den Zeitpunkt dafür nicht richtig gewählt! Und dieser 18te Aufenthalt hat dadurch meiner Tochter so sehr geschadet, dass es ein Wunder ist, sie jetzt in einem guten Zustand in einem Pflegeheim anzutreffen.
Ich hätte vor dem Zeitungsbericht, in dem ich über die Zustände in der Klinik berichtete, die Entlassung meine Tochter abwarten müssen! Denn daraufhin glich ihre Behandlung einem Horrortrip auf der geschlossenen Station. Man hat meinen Bericht, der in der örtlichen Tageszeitung zu lesen war, in die Behandlung meiner Tochter “eingebaut”, und hat sie “total verrückt gemacht”. Ihr wurde ein Medikament verordnet, das sie erst aggressiv und dann verwirrt und hilflos machte.
Die Pflegekräfte waren wohl beleidigt, weil ich die Wahrheit berichtet hatte! Aber ich wollte doch bewirken, dass sich die schlechte Behandlung in eine wirklich schonende ändert!
Die Antwort der Klinikleitung auf den Zeitungsartikel war ein Hausverbot. Nur meine Tochter durfte ich noch besuchen. Dazu kam ein Redeverbot – die Mitpatienten meiner Tochter betreffend. Außerdem sollte ich dem leitenden Professor nicht so oft schreiben. Somit musste ich erkennen, dass auch er einer der “Götter in Weiß” ist.

Aber ich habe ja – wenn auch wenige – Antworten von ihm auf meine unzähligen Beschwerden erhalten. Er bedauerte die Vorfälle und bat mich um klärende Gespräche. Gerne bin ich dieser Einladung gefolgt, aber es hat sich nichts geändert an der Behandlung, die der Würde des Menschen nicht entspricht.
Meine letzte Beschwerde war so umfangreich und so deutlich, dass der Herr Professor mich tatsächlich eingeladen hatte. Nachdem ich genau 30 Minuten Zeit hatte, um das zu sagen, was ich bereits x mal geschrieben hatte,  versuchte der Pflegedienstleiter mir alles zu widerlegen. Gut war, dass ich vor den sechs anwesenden Herren ganz frei das aussprach, was sie bereits wussten. Diese Prüfung habe ich bestanden, und am liebsten hätte ich gebeten, mir meine Taxikosten in die außerhalb liegende Klinik zu erstatten. Aber so frech wollte ich nicht sein!

Von einem Oberarzt und der stellvertretenden Pflegedienstleitung wurde ich bereits früher zu meinen Beschwerden angehört – und um Verständnis gebeten. Wenn ich das jedoch in derartigen Situationen aufbringen würde, wäre ich selber krank!
Nein, ich bin stabil seit über 20 Jahren, und ich bleibe bei der richtige Bezeichnung dessen, was ich an “Folter” festgestellt habe. Auch wenn mich der Oberarzt “eine psychisch Kranke” nannte in dem letzten Gutachten, das er für meine Tochter geschrieben hat. (Er gab damit vertrauliche Informationen an das Amtsgericht/Betreuungsgericht weiter. Wo bleibt da die ärztliche Schweigepflicht?)

Überhaupt wurde unsere Familie sehr verletzt wegen meiner Zivilcourage, und ich wurde ausgelacht, nur weil ich mich wie jede Mutter um mein Kind sorgte. A. ist zwar 33 Jahre alt, aber welche Mutter sorgt sich nicht, wenn ihr Kind krank ist?
Abschließend möchte ich noch sagen, dass ich nach dem jahrelangem Kampf von dieser Klinik und fast allen Ärzten und Mitarbeitern die “Nase voll” habe.
Meine Berichte habe ich an diejenigen geschrieben, die human sind, und Respekt vor Menschen haben. Die Patienten sind, obwohl sie erkrankt sind, in vielen Fällen normaler als die Pflegenden. Ich sah Männer weinen, und die Patienten um Hilfe schreien und keiner ging in die Zimmer, um nachzusehen! Ein besonders geschultes Pflegepersonal! Wenige machen es richtig!
Ich warte nicht mehr, ich schreibe für die Patienten, und veröffentliche diese Berichte. Ich erwarte eine Behandlung, die der Menschenwürde entspricht.
A. Kurella †