Archiv für den Monat: September 2015

Abschaffung des Paragrafen 63 Strafgesetzbuch!

EREPRO setzt sich seit langem für die Abschaffung des Paragraphen 63 Strafgesetzbuch ein:
Lesen Sie zum Beispiel auf dieser Homepage: Stationärer Maßregelvollzug: anders ist besser!
Psychiatrische Gutachten – unter dubiosen Umständen.  Es hat uns sehr gefreut, erstmals von einer Initiative zur Abschaffung des § 63 zu erfahren.

Am 15. September 2015 hat sich das “Kartell gegen § 63” gegründet.
Zur Erinnerung zunächst – der Text des Paragrafen, dann folgt die Gründungserklärung.  (http://userpage.fu-berlin.de/narrwd/kartell.htm)

§ 63 STGB
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist.

 

Gründungserklärung

 
      Mitglieder des Kartells:

Am 15. September 2015 hat sich das Kartell gegen § 63 gegründet.  
Alle, die sich in dem Kartell zusammengeschlossen haben, sind sich in Folgendem einig: 

Wir sind entschlossen, uns aktiv für die Abschaffung des § 63 StGB einzusetzen, weil er Unrecht ist. Am 24. November 1933 als Teil einer „als ob“ Version von Recht geschaffen ist die Willkür einer Diagnose von krankhafter Schuldunfähigkeit bei gleichzeitiger Gefährlichkeit offenkundig geworden, angefangen von Diagnosen als Todesurteilen von 1939-1948 über das Rosenhan Experiment, die von Armin Nack, dem Präsidenten des 5. BGH Strafgerichtshof als Richter hochgelobten Gutachten des Laiendarstellers Gert Postel, den gegensätzlichen Begutachtungsergebnissen von Frank Schmökel und Anders Behring Breivik, bis hin zu den aktuellen Skandalen um Gustl Mollath, Ilona Haslbauer, Ulvi Kulac. 

Zwei Merkmale des Vollzugs des § 63 in der forensischen Psychiatrie: 
• Willkürliche und regelmäßig längere Freiheitsberaubung als bei einem vergleichbaren Delikt im Regelvollzug 
• Erzwungene Körperverletzung durch psychiatrische Zwangsbehandlung.  
Der UN-Sonderberichterstatter über Folter und grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, Juan Méndez, hat bereits seit 2013 einen „absolut Ban“ jeder Zwangsbehandlung legitimierenden Gesetzgebung gefordert. Staatlicher Zwang zu erduldender Körperverletzung per Gesetz steht vor der Todesstrafe als schärfste Sanktion des Strafrechts. 

Allen am Kartell Beteiligten ist bewusst, dass der § 63 bisher in der deutschen Rechtsdogmatik den Menschenrechten zuwider für ein ehernes Gesetz gehalten und vom BVerfG für verfassungskonform erachtet wird. Wir orientieren uns an der Behindertenrechtskonvention (BRK) und dem absoluten Folterverbot. Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte hat stattdessen klargestellt, dass der § 63 mit der BRK als völkerrechtlichem Vertrag unvereinbar ist.1  Wir erinnern daran, dass Artikel 1 (2) GG die BRD auf die Einhaltung der BRK verpflichtet. 

Das Folterverbot ist der tiefere Grund dafür, dass das BVerfG die Anwendung des § 81 StPO am 9.10.2001 für unzulässig erklärt hat. Alle am Kartell Beteiligten verfolgen deswegen in einem ersten Schritt das Ziel, dass der ähnliche § 126 a StPO vom BVerfG für unvereinbar mit dem GG erklärt wird.

Damit würde es jedem Beschuldigten möglich, eine Untersuchung auf Schuldunfähigkeit erfolgreich zu verweigern. Die Sichtweise, dass einem Beschuldigten in aller Regel dazu geraten werden sollte, diese Untersuchung zu verweigern, wird unseres Erachtens in der strafverteidigenden Anwaltschaft breite Unterstützung finden und sich dann auch in der Bevölkerung herumsprechen. Damit würde der § 63 so unterhöhlt, dass auch der Gesetzgeber nur noch die einzig richtige Konsequenz ziehen kann:  
                                   Die Abschaffung des § 63 StGB 
Um zu dokumentieren, dass wir mit den Organisationen der Betroffenen übereinstimmen, werden die Veröffentlichungen des Kartells von dem Bundesverband und der Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener gemeinsam herausgegeben. Sie werden von deren Forensik-Beauftragten presserechtlich verantwortet. 
 
Weitere Personen können dem Kartell beitreten, solange von keinem der Gründungsmitglieder ein Veto dagegen eingelegt wird.
[Beitrittswunsch bitte per E-Mail gleichzeitig an beide Herausgeber senden.]

 
 
Impressum
Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener e.V.
Wittener Str. 87, 44789 Bochum
www.bpe-online.de
kontakt-info [ät] bpe-online.de
in Zusammenarbeit mit
Bundesarbeitsgemeinschaft
Psychiatrie-Erfahrener e.V.
Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin
www.die-bpe.de
die-bpe [ät] gmx.de
 
Verantwortlich im Sinne des TDG sind die Forensik-Beauftragte Franziska Ludwig und der kommissarische Forensikbeauftragte Matthias Seibt
 
1 Quelle: http://www2.ohchr.org/english/bodies/hrcouncil/docs/10session/A.HRC.10.48.pdf  
47. Innerhalb des Strafrechts erfordert die Anerkennung der Geschäftsfähigkeit von Menschen mit Behinderungen die Aufhebung der Verteidigungsmöglichkeit, unter Berufung auf das Vorliegen einer psychischen oder geistigen Behinderung die strafrechtliche Zurechnungsfähigkeit zu verneinen.* Stattdessen sollten behinderungsneutrale Grundsätze angewandt werden, die sich auf das subjektive Element der Straftat richten und die Lage des einzelnen Angeklagten berücksichtigen. Gemäß Artikel 13 des Behindertenübereinkommens könnten sowohl in der Vorverfahrensphase als auch während der Hauptverhandlung verfahrensbezogene Vorkehrungen erforderlich sein; dafür müssen entsprechende Normen beschlossen werden. 
*Häufig als „Plädoyer auf Unzurechnungsfähigkeit“ bezeichnet. 
 

 

Wer darf begutachten bei Zwangsbehandlung? Beschluss des BGH v. 8.7.2015 zum Betreuungsrecht

Liebe KollegInnen,
 
schon seit vielen Jahren gibt es verfassungsrechtlich ein großes Problem in der Psychiatrie (Betreuungsrecht): Die Bescheinigungen der selbst zwangsbehandelnden ÄrztInnen führen zu gerichtlich angeordneten Zwangsmaßnahmen für PatientInnen. Tatsächlich handelt es sich hier aber nicht um eine unabhängige Begutachtungen bzw. Aussagen, was bei Zwangsmaßnahmen und/oder freiheitsentziehenden Maßnahmen was aber höchst problematisch ist und oftmals rechtswidrig ist. Rolf Marschner (RA München, mein juristischer Berater für die Seite www.schweigepflicht-online.de) kritisiert das schon seit vielen Jahren immer wieder.
 
Nun hat der BGH die Problematik aufgegriffen und klarifiziert – was eigentlich immer schon klar war, aber in der Praxis oft nicht beachtet wurde.
 
Im Beschluß heißt es:
 
“Danach soll in Verfahren zur Genehmigung einer Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme oder bei deren Anordnung der zwangsbehandelnde Arzt nicht zum Sachverständigen bestellt werden. Nur in eng begrenzten Ausnahmefällen etwa bei besonderer Eilbedürftigkeit kann das Gericht hiervon abweichen und im Einzelfall auch den behandelnden Arzt zum Gutachter bestellen.”
(Beschluß v. 8.07.15: Seite 5)
 
Im vorliegenden Fall wurde aber nicht dargelegt, warum von dieser Regelung abgewichen wurde bzw. werden mußte.
 
Auf meiner Seite gibt es einen ausführlichen Beitrag dazu – auch mit dem Link zum Beschluß des BGH:
 
Liebe Grüße
Jürgen Thorwart
 
Urteil des Bundesgerichtshofs, Az.: XII ZB 600/14
 
Zum Nachlesen in der Ärzte Zeitung, 18.08.2015
 
Darin heißt es: 
Wer bestimmt nun als Gutachter für das Betreuungsgericht, ob diese (Zwangs-)Behandlung wirklich notwendig ist? Kann der behandelnde Psychiater begutachten, oder nur ein unabhängigerFachmann? Vielleicht sogar besser zwei, die in der Einschätzung des Patienten übereinstimmen müssen?  Welche Qualifikation des Gutachters garantiert seine Kompetenz als Sachverständiger in dieser wichtigen Angelegenheit? Der Gesetzgeber hat sich entschieden, die Ausbildung als Psychiater als ausreichend zu betrachten, und zunächst für 6 Wochen den behandelnden Psychiater als Gutacher zuzulassen. Erst bei Verlängerung der Zwangsmaßnahme wird ein außenstehender Gutachter gefordert. Hier ist Skepsis angebracht. 

Mein Partner ist wohl depressiv – wir wollen keine Psychiatrie

  

Mein Partner ist abgeschnitten
von mir  
zur Zeit.                                                                       

So verschwindet er
immer mal wieder
aus meinem Leben
Und ist doch da

Das geschieht
nicht regelmäßig. 
Auslöser sind mir unbekannt.
Obwohl beobachtet mit Protokoll,
trotz Internetrecherche und Nachdenken.
       
Es gibt kein Prinzip, es gibt kein System.
Der Zustand ist wie Wetter.   
Man weiß es nicht vorher,
und kann es gar nicht steuern.

Anzeichen – ja.     
Vor allem Unentschlossenheit fällt auf,
banale Dinge zu entscheiden.
“Das weiß ich nicht” –
so lautet die Begleitmusik.
                                                      
Wenn es dann soweit ist,
stell ich mich darauf ein.
Hoffentlich sehr schnell,   
um mich zu schützen    
                                            
Schützen?

Vor plötzlicher Zurückweisung.
Bis hin zum aggressiven Korb,
nicht zu berechnen und ganz ohne Anlass
verstärkt durch Alkohol, der ja enthemmt –
dann mehr als sonst.

Ich bin genervt und ecke an,
vergesse, dass es wieder soweit ist,
mach Fehler ohne Überlegung:
Gewohnheit – Sicherheit – Vertrautheit
verführen mich dazu.

Schlagartig unterbrochene Verbindung,
schnell-wortlose Verständigung ist futsch.
Beginn der Zeit des großen Schweigens:
aktiv Zurückhaltung in Diskussion,
Aufmerksamkeit und Lust an meinen Themen,      
das wird nun eine zeit lang nicht mehr sein.

Fremd, isoliert, so stehe ich allein.
Beginne neu den Lernprozess,
der dauert bis allmählich –
gebranntes Kind – ich vorsichtiger bin.
Rückgriff auf meine Eigenständigkeit.

Blindheit im Zwischenmenschlichen
macht Umgangsformen harscher
und somit weniger sensibel –
so geht man um mit einem Hund.
Lautstark wird’s oft von meiner Seite,
wie wenn ich meinen Partner wecken will,
ihn, der nur kalt und gleichgültig sich gibt.

Lässt Orientierung an dem Gegenüber nach?
Was heißt das – weniger an Empathie?
Entzug von Sicherheit der Selbstverständlichkeit,
stand darauf die Beziehung?
Ein Rest von Anstandsregeln
verhindert, dass nicht alles
uns aus dem Ruder läuft.

Ich bin verletzt.
Doch mein Bedauern überwiegt.
Ich ahne, wie ich meinen Partner störe,
der nicht so reagiert wie sonst,
sich nicht auf alles einlässt.

Kann er Eindrücke schwerer integrieren?
Das denke ich.
Er schließt sich ab, wie um sich mehr zu sammeln.
Und alles weitere bedrängt ihn nur.
Auch, dass ich immer da bin,
das tut ihm nicht gut.

So mache ich
mich möglichst unsichtbar.
Dann geht es schon.

Ich sehe, wie er leidet.
Verhindern kann ich’s kaum,
er fühlt durch mich Herabsetzung
durch Vorschläge und kleine Tipps –
sogar Berührungen verletzen.

Entsprechend fehlt es an Respekt und Wertschätzung
für mich in diesen Zeiten.
Erniedrigung kommt vor
durch diesen reservierten „Fremden“,
den alle doch für meinen Partner halten.
Maßlose Wut kann mich dann packen.

Ich glaube nicht, dass  ich die Kältephase
verkürzen kann durch Mitgefühl –
genau so wenig helfen Lob und Anerkennung.
Es ist ganz einfach ein Naturereignis,
dem wir dann beide ausgeliefert sind.

Jetzt komme keiner mir mit Psychiatrie.
Um welche Störung geht’s denn hier ?
Liegt sie bei mir oder bei meinem Partner?
Wer ist Patient und wer der Angehörige?

Dieselbe kalte distanzierte Haltung –
nur diesmal bei dem Personal –
ab in das Schubfach mit der Diagnose
Das brauche ich nicht noch einmal.
Ihr macht uns nicht zu den Gestörten,
denn solchen macht Leben keinen Spaß.
Wir leben zwar am Rande der Gesellschaft
freiwillig und nicht abgeschoben.
Beruflich sind wir sehr gut drauf.
Mein Partner ist gebildet, geistreich, kreativ.
bewundert von sehr vielen Männern
und von den Frauen so wie so.

Die Psychiatrie, die würde das zerstören.
denn sie zersetzt den Stolz von jedem,  den sie trifft,
weil sie an ihm herum zu pfuschen anfängt.
Sie würde wagen ihn zu messen,
aus selbstherrlicher Besserwisserei.
Als ob das Leben kontrolliert abliefe,
und gerade wir uns schämen müssten.

Man will dort chemisch ins Gehirn eingreifen.
Was dabei vorgeht, ist noch nicht erforscht.
Man drängt dazu,
doch muss ein jeder für sich selbst entscheiden
wann denn der eigne Zustand
ihm unerträglich wird.

Mein Partner klagt nicht –
außer über mich.
Und unerträglich wird das Leben nicht.
Da hab ich keine Ängste.
Es gibt ja eine Perspektive.

Wir sind zusammen. Und es bleibt dabei.
Das Leben außerhalb der Kältephasen,
genießen wir
und oft sogar in dieser Zeit

Die Absicht von Beratern
Störungen zu tilgen,
erklärt sich nur berufsbedingt.
Das Reden drüber ist meist Zeitverschwendung.
Es sei denn, man hat Lust dazu.
Verführt wird dabei mancher Kunde
zu glauben an den Zauber der Veränderung
durch Therapie – 
dann ohne ständig neuen mühevollen Einsatz,
weil man ihm klar gemacht:
er selber sei unmöglich –
so wie er ist.
Das ist fatal.
Der Mensch wird unglücklich,
weil er derselbe bleibt.

Und wir versuchen’s weiter.
Es ist ein Auf und Ab.
Wir sind nicht ständig glücklich,
sogar zeitweilig sehr verrückt,
und das macht Angst.

Doch es geht schon
“Es gibt ja immer einen Ausweg“
sang eine jüdische Songsingerin.

Uta von Bebar