Archiv für den Monat: Mai 2012

Zwangseinweisungen Psychiatrie

Liebe KollegInnen,

nachfolgend ein Beitrag aus der Ärzte Zeitung, 09.05.2012 (www.aerztezeitung.de) zu den (zunehmenden) Zahlen von Zwangseinweisungen.

Mit herzlichen Grüßen und Wünschen für einen Schönen Feier-/Vatertag

Jürgen Thorwart

Mehr Zwangseinweisungen: Was steckt dahinter?

In vielen Ländern haben unfreiwillige Unterbringungen in psychiatrischen Kliniken zugenommen. Die Unterschiede in Europa sind aber beträchtlich.

PRAG (eb). Die Pharmakotherapie hat sich verbessert, die Zahl niedergelassener Psychiater zugenommen. Trotzdem ist in einigen europäischen Ländern die Rate unfreiwilliger Einweisungen in psychiatrische Krankenhäuser gestiegen – allerdings in unterschiedlichem Ausmaß.

Dazu kontrastiert ein Rückgang in anderen Ländern, berichtete Professor Cornelis L. Mulder aus Rotterdam auf dem EPA-Kongress in Prag (Der Neurologe und Psychiater 2012; 13 (4): 16-20).

So stieg in Deutschland zwischen 1990 und 2002 die Rate unfreiwilliger Einweisungen um 67 Prozent von 114,4 auf 190,5 (jeweils bezogen auf 100.000), in England um 24 Prozent von 40,5 auf 50,3, in den Niederlanden um 16 Prozent von 16,4 auf 19,1.

Ein Rückgang der Zwangseinweisungen sei zu beobachten in Italien – um 12 Prozent von 20,5 auf 18,1 – sowie in Schweden, um 17 Prozent von 39,4 auf 32,4. Die niedrigsten Raten in Europa hat Portugal mit 6 auf 100.000, die höchsten Finnland mit 218 auf 100.000.

Die enormen Unterschiede sind nach Angaben von Mulder auf die unterschiedlichen Gesetze zurückzuführen. In Portugal entscheiden ein Richter und ein Vormund über die unfreiwillige Einweisung eines psychisch Kranken.

Krisenintervention und Karten

In Finnland dagegen entscheidet ein einzelner Arzt, der keine psychiatrische Expertise haben müsse, sondern auch Allgemeinmediziner sein könne. Daher sei die Schwelle für eine Zwangseinweisung in Finnland besonders niedrig, so Mulder.

Ein weiterer Grund für hohe Raten unfreiwillig untergebrachter Patienten sei der Bettenabbau in psychiatrischen Kliniken. Er verläuft meist parallel zum Anstieg der Zwangseinweisungen.

So sank in England die Bettenzahl zwischen 1990 und 2002 um 52 Prozent, in den Niederlanden um 15 Prozent und in Deutschland um 10 Prozent, während sie in Italien um 18 Prozent stieg. Wenn die Einweisungen weiter zunehmen, müsse über einen Bettenausbau nachgedacht werden.

Zur Prävention eigneten sich die Förderung der Compliance, wohnortnahe, ambulante Krisenintervention und “Krisenkarten”.

Darauf sind die Anzeichen einer Krise und Gegenmaßnahmen notiert. Sie werden an den Patienten, seine Angehörigen und das soziale Umfeld verteilt

Psychopharmaka und Rückfall: Metaanalyse (The Lancet online: 3 May 2012)

Wie immer man zur Medikamenteneinnahme in der Psychiatrie steht, wie sehr man den Sinn so einer Zusammenschau völlig unterschiedlicher statistischer Studien in Frage stellen mag und entsprechend die Ergebnisse für nicht aussagekräftig hält – eine Mail von Dr. Jürgen Thorwart, Psychoanalytiker, könnte der Startschuss für eine Diskussion über die Medikamenteneinnahme in der Psychiatrie und Psychotherapie sein.
Er schreibt:

Hier ein Bericht über eine Metastudie zum Einsatz von Psychopharmaka bei Schizophrenie.
Sie bestätigt, daß Antipsychotika die Rückfallhäufigkeit (im Vergleich mit der Placebo-Gabe) deutlich vermindert. Daß die Rückfallhäufigkeit bei Gesprächstherapie (was immer das sein mag) ohne Medikamente höher ist, als bei der Gabe von Medikamenten ist nicht unbedingt überraschend – schon weil eine Psychotherapie bei Psychosen in der Regel über mehrere Jahre läuft bevor sich Veränderungen (nicht nur in der Symptomatik, sondern auch im Erleben, Verhalten und der psychischen Struktur und Stabilität) zeigen.
Bekannt ist aber schon lange, daß in aller Regel (natürlich nur mit Aufklärung und Einverständnis der Betroffenen) eine Kombination aus Psychotherapie und Medikamenten die größten Aussichten auf Erfolg haben – so steht es auch in den Leitlinien.
Daß analytische Psychotherapie dort keine Rolle spielt, hat etwas mit der (traditionellen) Ablehnung dieses Verfahrens in (weiten Kreisen) der Psychiatrie zu tun, aber auch damit, daß es tatsächlich wenige Studien dazu gibt. Diese werden nämlich im Unterschied zu pharmazeutischen Studien von Niemandem bezahlt und sind, da sie einen extrem hohen Aufwand erfordern (Durchführung und Studiendauer), besonders teuer. Der Nachweis von Psychotherapie (das gilt für alle zugelassenen Richtlinienverfahren der GKV) ist erheblich schwieriger und völlig unterfinanziert.

Quelle: UNIVADIS:http://www.univadis.de/medical_and_more/KurzmeldungenMedizin_Detail?link=/DE/apa/Schizophrenie-mit-Medikamenten-behandeln/%28language%29/ger-DE&id=589833


In einem “Kommentar” zu diesem Text weisen wir von EREPRO mit einigen Links auf die Warnungen vor Neuroleptika-Einnahme von Volkmar Aldehold Arzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychotherapeutische Medizin im Institut für Sozialpsychiatrie der Uni Greifswald hin, deren Kenntnis wegen ihrer Brisanz bei keiner Diskussion über Psychopharmaka fehlen sollte.